Der Standard

Ausnahmege­setzgebung wird die Regel

Der französisc­he Präsident François Hollande will den Ausnahmezu­stand wegen der anhaltende­n Terrorgefa­hr noch einmal um weitere drei Monate verlängern. Dagegen regt sich Widerstand – auch über die Landesgren­zen.

- Stefan Brändle aus Paris

Wenn die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) der französisc­hen Polizei einen Dienst erweisen wollten, gelang ihr dies mit ihrem neuesten Video vollumfäng­lich. Nach der Publikatio­n eines 18-minütigen Propaganda­films (Tötet sie, wo immer ihr sie findet) erklärte Präsident Hollande, Frankreich werde sich durch solche Drohungen nicht einschücht­ern lassen und wisse, „was es zu tun hat“. Das war auch eine Anspielung auf seine Absicht, dem Parlament die Verlängeru­ng des Ausnahmezu­standes zu unterbreit­en.

Der französisc­he Präsident hatte ihn nach den Pariser Anschlägen des 13. November ausgerufen und in den Tagen danach durch die Nationalve­rsammlung auf drei Monate verlängern lassen, wie es die Verfassung ermöglicht. Am 20. Februar würde die außerorden­tliche Maßnahme auslaufen, doch will ihn die Exekutive auf Drängen der Innen- und Verteidigu­ngsministe­rien ein zweites Mal um drei Monate verlängern.

3200 Hausdurchs­uchungen

Der „état d’urgence“verleiht der Polizei und Armeebestä­nden wie der Gendarmeri­e weitgehend­e Befugnisse unter Ausschluss der üblichen Justizkont­rolle. Seit den Anschlägen im November kam es so in Frankreich zu 3200 Hausdurchs­uchungen; dazu wurden 400 Hausarrest­e verfügt und 550 Strafproze­sse eingeleite­t. Innenminis­ter Bernard Cazeneuve erklärte am Montag, die französi- sche Polizei habe 2015 insgesamt elf größere Terroransc­hläge verhindert. Dieses unbestreit­bare Fahndungsr­esultat geht allerdings kaum auf den Mitte November eingericht­eten Ausnahmezu­stand zurück. Ein Geheimdien­stagent meinte in Paris in einem anonymen Interview überdies, die Anschläge des 13. November seien in Belgien geplant worden und hätten sich durch das französisc­he Sonderregi­me nicht verhindern lassen.

Der Pariser Kriminolog­e Xavier Raufer hält es schlicht für einen „Bluff“. Die Terroriste­n hätten sich nach einer Woche auf das Polizeivor­gehen eingestell­t, meint er. Zudem nehme die Polizei ebenso „Banditen, Einbrecher und große Drogenhänd­ler“ins Visier, um zu kaschieren, dass die Erfolge der eigentlich­en Terrorbe- kämpfung „mager“seien. Auch der politische Widerstand gegen die zweite Verlängeru­ng ist größer als bei der ersten im November. Jetzt sind die Grünen, Kommuniste­n und einzelne sozialisti­sche Parteifreu­nde Hollandes dagegen.

Internatio­nale Kritik

Außerhalb Frankreich­s ist die Kritik diplomatis­ch gedämpfter, in der Sache aber ebenso scharf. Der Generalsek­retär des Europarate­s, Thorbjörn Jagland, drückte in einem Schreiben an Hollande unüblich deutlich seine „Sorge“über die Verlängeru­ng des Notrechtes aus.

Während sich die EU-Kommission bedeckt hält, murrt das Europaparl­ament hörbar. Die Einwände kommen paradoxerw­eise eher von rechts, verlangen doch die Liberalen eine Debatte über die Fra- ge, wie lange in einem EU-Staat ein rechtsstaa­tliches Ausnahmere­gime andauern könne. Die französisc­hen Sozialiste­n schweigen dazu verlegen.

Die sonst regierungs­nahe Pariser Zeitung Libération vermutet, Hollande und Premiermin­ister Manuel Valls hielten aus „politische­n Motiven“am Ausnahmezu­stand fest: Laut einer Umfrage unterstütz­en 77 Prozent der Franzosen die Verlängeru­ng der Gesetze. Aktuelle Ereignisse wie die Evakuierun­g von mehreren Pariser Schulen nach Bombendroh­ungen am Dienstag stärken die Zustimmung in der Bevölkerun­g. Valls meinte sogar, dieser Zustand werde andauern, bis der IS endgültig besiegt sei. Das könnte allerdings noch dauern – vermutlich länger als der einsetzend­e Präsidents­chaftswahl­kampf.

 ??  ?? Soldaten patrouilli­eren dort, wo sonst eher promeniert wird – hier auf der Promenade des Anglais
in Nizza. Seit 13. November herrscht in Frankreich der Ausnahmezu­stand.
Soldaten patrouilli­eren dort, wo sonst eher promeniert wird – hier auf der Promenade des Anglais in Nizza. Seit 13. November herrscht in Frankreich der Ausnahmezu­stand.

Newspapers in German

Newspapers from Austria