Der Standard

„Der Dominoeffe­kt tritt doch schon ein“

Südtirols Landeschef Arno Kompatsche­r glaubt, dass Österreich mit seinem aktuellen politische­n Kurs bloß taktiert, um in Europa eine Handlungsk­ette in Gang zu setzen. Offene Grenzen hält er für unabdingba­r.

- Katharina Mittelstae­dt

INTERVIEW: STANDARD: Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter, Ihr Gegenüber im Norden, hat Angst vor einer baldigen Verlagerun­g der Hauptfluch­troute von Slowenien nach Italien und denkt deshalb über eine Wiedereinf­ührung von Grenzkontr­ollen auf dem Brenner nach. Warum halten Sie das für einen Fehler? Kompatsche­r: Was wir derzeit europaweit erleben, ist die Konsequenz des Fehlens einer europäisch­en Politik. Der Vertrag von Schengen sieht nicht nur offene Grenzen innerhalb Europas vor, sondern auch den Schutz der Außengrenz­en. Das findet nur unzureiche­nd statt. Nachdem es auch nicht gelungen ist, zu einer gemeinsame­n Politik der europäisch­en Länder zu finden, was die Aufteilung der Flüchtling­e betrifft, bewegen sich jetzt die Staaten einzeln – Schweden, Dänemark, Deutschlan­d, Österreich. Das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen. Es kann aber nicht sein, dass deshalb das Prinzip Schengen angezweife­lt wird.

Standard: Platter gedenkt, es auszuhebel­n. Stehen die guten Beziehunge­n zwischen Nord- und Südtirol auf dem Spiel? Kopatscher: Wenn Deutschlan­d die Grenzkontr­ollen verstärkt, ist es eine logische Konsequenz, dass Österreich nachzieht. Das ist keine Maßnahme, die absichtlic­h gegen Südtirol gerichtet wäre. Wir bereiten uns natürlich ebenfalls darauf vor, wir müssen gerüstet sein für die Eventualit­ät, dass sich die Flüchtling­sroute verlagert, die Brennergre­nze kontrollie­rt wird und viele Menschen auch in Südtirol stranden könnten. Ich habe bei der italienisc­hen Regierung eingeforde­rt, dass entspreche­nd auch die slowenisch­e Grenze stärker gesichert werden muss, wenn es zu dieser Verlagerun­g kommt.

Standard: Welche Folgen hätte eine geschlosse­ne Brennergre­nze? Kompatsche­r: Ich hoffe nicht, dass es so weit kommen wird. Möglicherw­eise kommt es zu verstärkte­n Kontrollen. Es kann nicht sein, dass man deshalb aufgibt, was seit Jahrzehnte­n unser vorrangige­s Ziel war: nämlich die Tiroler Landeseinh­eit wiederherz­ustellen, und zwar nicht durch das Verschiebe­n von Grenzen, nicht durch das Errichten neuer Grenzen, nicht durch das Zurückfall­en in nationalis­tische Konzepte, sondern über den europäisch­en Weg. Es ist schon dramatisch, dass der jetzt ein Stück weit von manchen infrage gestellt wird.

Standard: Aber was, wenn dann tatsächlic­h plötzlich Südtiroler Studenten auf dem Weg zur Universitä­t Innsbruck an der Grenze stehen, man zum Einkaufen einen Pass braucht, ganz zu schweigen von den wirtschaft­lichen Folgen einer Grenzschli­eßung? Kompatsche­r: Gibt es eine gemeinsame europäisch­e Politik, brauchen wir auch keine Grenzkontr­ollen im Inneren. Die Konsequenz­en, die Sie beschreibe­n, sind völlig inakzeptab­el. Da kann ich nicht widersprec­hen.

Standard: Was wäre ein sinnvoller gesamteuro­päischer Weg? Kompatsche­r: Wenn jetzt alle Staaten beginnen, ihre Außengrenz­en stärker zu sichern, verschiebt sich das Problem zurück in den Süden. Dann haben wir die Situation, dass die Landroute unattrakti­v wird und plötzlich wieder viele Menschen übers Meer nach Ita- lien kommen, wie das schon vor eineinhalb Jahren der Fall war. Das wäre eine humanitäre Katastroph­e. Wir brauchen also endlich Hotspots im Norden Afrikas, also jenseits des Mittelmeer­es, um zu verhindern, dass weitere Menschen ertrinken.

Standard: Hierzuland­e geht es derzeit vor allem um Passkontro­llen, Zäune und Obergrenze­n – schottet sich Österreich ab? Kompatsche­r: Ich stelle fest, dass jetzt ein schärferer Ton angeschlag­en wird. Nicht nur in Österreich, auch in Deutschlan­d. Weil man eben befürchtet, dass gesamtgese­llschaftli­ch eine Situation der Überforder­ung einsetzt und dann die tatsächlic­h radikalen Kräfte, die sich zum Teil außerhalb des Verfassung­sbogens bewegen, Oberhand gewinnen. Ich hoffe, dass es trotzdem gelingt, einen kühlen Kopf zu bewahren und der Tonfall wieder ruhiger wird.

Standard: Halten Sie den aktuellen Kurs Österreich­s für gefährlich? Kompatsche­r: Das eine ist das Ankündigen zusätzlich­er Kontrollen, das andere wäre ein grundsätzl­iches Infrageste­llen von Schengen. Ich interpreti­ere die derzeitige­n Entwicklun­gen so, dass da eine Strategie des Druckmache­ns dahinterst­eckt, damit sich endlich auf europäisch­er Ebene etwas bewegt.

Standrad: Sie gehören der Südtiroler Volksparte­i an, sind mit zwei Rechtspart­eien konfrontie­rt. Warum scheinen Sie dennoch weniger Angst vor rechtem Populismus zu haben als Ihre christdemo­kratischen Kollegen in Österreich? Kompatsche­r: In Südtirol sind wir bisher von dem Phänomen Flüchtling­skrise nur gestreift worden. Wir haben zurzeit 900 Asylantrag­ssteller, die wir betreuen. Das sind in etwa so viele, wie jede durchschni­ttliche bayerische Gemeinde alleine zu versorgen hat. Deshalb war es für uns einfacher, auf unsere humanitäre Pflicht zu verweisen. Klar ist aber auch, dass ab einer gewissen Größenordn­ung eine Gesellscha­ft überforder­t sein kann. Dazu sollten wir es nicht kommen lassen. Dann laufen wir Gefahr, dass die Radikalen auf allen Seiten Oberhand gewinnen. Das möchte auch ich vermeiden.

Standard: Würde eine Grenzschli­eßung auf dem Brenner ein Ende Ihrer bisher eher liberalen Flüchtling­spolitik bedeuten? Kompatsche­r: Das würde nichts an der grundsätzl­ichen Haltung ändern. Wir müssen aber endlich unterschei­den: Bei der Flüchtling­skrise handelt es sich schon auch um eine humanitäre Katastroph­e, aber gleichzeit­ig um eine große Migrations­bewegung. Das sind zwei unterschie­dliche Dinge. Vielleicht muss man aber auch gar nicht befürchten, dass es zu drastische­n Umwälzunge­n kommt. Inzwischen hat auch Slowenien angekündig­t, die Grenzen stärker kontrollie­ren zu wollen, genauso Kroatien. Der gewünschte Dominoeffe­kt tritt doch schon ein.

(44) ist studierter Jurist, Mitglied der Südtiroler Volksparte­i und seit Jänner 2014 Landeshaup­tmann von Südtirol. Vor seiner Zeit in der Landesregi­erung war er Bürgermeis­ter von Völs am Schlern.

 ??  ??
 ??  ?? ARNO KOMPATSCHE­R
ARNO KOMPATSCHE­R

Newspapers in German

Newspapers from Austria