Sucht: Neue Ziele, aber kein Zusatzgeld
Erstmals gibt es österreichweite Leitlinien für den Umgang mit Sucht und ihre Prävention. Darin ist Sucht als Krankheit definiert; nicht zwingend mit Abstinenz als Ziel. Zusätzliche Mittel zur Umsetzung der Strategie, die bei den Ländern liegt, hat der B
Wien – Rund 1,1 Millionen Menschen in Österreich betreiben „problematischen Alkoholkonsum“, etwa 1,5 Millionen sind tabaksüchtig. Diese Daten präsentierte Christian Haring, Leiter der Psychiatrie- und PsychotherapieAbteilung im LKH Hall in Tirol Montagabend in Wien. Pro Süchtigen seien etwa sechs bis acht Personen davon mitbetroffen. „Suchtprävention betrifft die gesamte Gesellschaft und nicht nur die anderen“, erklärte Haring. Anlass war die Präsentation einer bundesweiten Suchtpräventionsstrategie im Gesundheitsministerium, um die mehrere Jahre lang gerungen worden war.
Konkrete Umsetzungsmaßnahmen fehlen in dem vorgestellten Paket aber. Derzeit gebe es keine zusätzlichen Mittel für die Erreichung der Ziele, gab Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) zu, die sich dennoch stolz über das Ergebnis zeigte. Es habe dafür des Bohrens harter Bretter bedurft. Das Papier wurde mit dem Koalitionspartner abgestimmt und am Dienstag im Ministerrat abgesegnet.
„Sucht ist eine Krankheit“
Jedes Bundesland hat in Österreich seinen eigenen Umgang mit der Suchtproblematik. Die Maßnahmen könnten „nun koordinierter fortgesetzt werden“, erklärte die Ministerin. Basis sei der Grundsatz: „Sucht ist eine Krankheit.“Hauptziele der Leitlinien sind, negative Auswirkungen von Sucht so gering wie möglich zu halten, Suchtkranke bedarfsorientiert zu betreuen, ihnen dabei zu helfen, gesünder zu leben und die Reintegration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen sowie das Bewusstsein für Sucht als Krankheit in der Gesellschaft zu schärfen.
Die Ziele betreffen nicht nur den Konsum illegaler, sondern sämtlicher Substanzen, die die Psyche beeinflussen (etwa auch Alkohol), sowie die Vorbeugung von Suchtverhalten (zum Beispiel Spielsucht). Sollten Experten die Leitlinien nicht anerkennen, gebe es aber keine Sanktionsmöglichkeiten, sagte Oberhauser.
Dass die Zahl der Opioid-Konsumenten in Österreich gesunken ist (2013 lag sie laut Drogenbericht bei rund 28.000 bis 29.000), hänge mit dem Erfolg der Substitutionstherapie in sämtlichen Bundesländern zusammen, sagte der steirische Sucht- und Drogenkoordinator Klaus Peter Ederer. Auch starben in den vergangenen Jahren weniger Menschen im Zusammenhang mit Drogenkonsum (2011 waren es noch 201, im Jahr 2014 waren es 122).
„Schadensbegrenzend“
In dem Papier bekennt man sich auch zur Substitutionstherapie: „Möglichst viele Suchtkranke, die (noch) nicht zur Abstinenz fähig oder bereit sind, sollen durch schadensbegrenzende Maßnahmen stabilisiert werden, um somit ihr Überleben zu sichern“, heißt es da.
Innenministerin Johanna MiklLeitner (ÖVP) hatte im März 2013 vorgeschlagen, die Substitutionstherapie zu evaluieren und den Einsatz retardierter Morphine kritisiert. Dafür erntete sie teils heftige Kritik, etwa vom Wiener Drogenkoordinator Michael Dressel.
Es sei wichtig und in der Strategie formulierter Konsens, Suchtkranke nicht an den Rand der Gesellschaft zu drängen, sagte Hans Haltmayer, in der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen zuständig. „Das sind Kranke, und sie brauchen Behandlung“, betonte Christoph Lagemann vom Institut für Suchtprävention Pro Mente in Oberösterreich, der einen Ausbau der Suchtpräventionsstellen fordert. Man werde um Investitionen nicht herumkommen, sagte er dem STANDARD.
Für die Präventionsstrategie hatten 100 Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und den Suchtkoordinationen der Länder unter wissenschaftlicher Leitung an einer Delphi-Studie gearbeitet. Der Auftrag für diese war bereits 2011 ergangen.