Der Standard

Radikalumb­au in den Kathedrale­n des Wissens

Bei den wissenscha­ftlichen Büchern und Zeitschrif­ten bleibt – auch aufgrund der Digitalisi­erung – kein Stein auf dem anderen. Internatio­nal machen Verlagsmul­tis Milliarden­gewinne mit Steuergeld. In Österreich sorgt das neue Urheberrec­ht für Wirbel in der

- Klaus Taschwer

Wien – Auf den ersten Blick sieht es in den großen Bibliothek­en nicht viel anders aus als vor hundert Jahren: Die Lesesäle der Universitä­tsbiblioth­ek Wien – im Jahr 1900 übrigens die zweitgrößt­e Uni-Bibliothek der Welt – und der Nationalbi­bliothek sind dieser Tage gut gefüllt. Die meisten Studierend­en und Forschende­n haben bedrucktes Papier in Form von Büchern, Zeitschrif­ten oder Skripten vor sich liegen, machen sich Anmerkunge­n oder prägen sich das Gelesene ein, um sich auf ihre Prüfungen vorzuberei­ten.

Gut, viele arbeiten mit Leuchtstif­t, haben ein Smartphone neben sich liegen, etliche tippen Texte in einen Laptop, und einige lesen auch auf elektronis­chen Lesegeräte­n. Das gab es vor hundert Jahren nicht. Doch es kann in diesen säkularen Kathedrale­n des Wissens keine Rede vom viel beschworen­en Ende des Buches sein oder gar davon, dass Lesen selbst eine aussterben­de Kulturtech­nik sei, wie der Technikphi­losoph Vilém Flusser vor mehr als einem Vierteljah­rhundert kühn behauptete.

Der Blick in die Lesesäle kann freilich nicht darüber hinwegtäus­chen, dass hinter den beeindru- ckenden Kulissen der vollen Bücherrega­le im wissenscha­ftlichen Publikatio­nswesen gerade kein Stein auf dem anderen bleibt – und zwar auf allen Ebenen.

Es geht dabei nicht nur um die Zukunft des Gedruckten, das mehr und mehr von digitalen Veröffentl­ichungen abgelöst wird. Es geht auch um den offenen Zugang zu wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen (Open Access), um Milliarden­profite auf Kosten der Steuerzahl­er, um die Zukunft der kleinen und mittleren Verlage und die Rechte von Autoren. Kurzum: Beim wissenscha­ftlichen Publiziere­n geht es gerade ums Ganze.

Wenig öffentlich­e Diskussion

Das Erstaunlic­he ist nur, dass in Österreich Diskussion­en über die komplexe, aber höchst relevante Materie weitgehend fehlen, auch wenn das Open Access Netzwerk Austria und der Wissenscha­ftsfonds FWF in Sachen Open Access eine internatio­nale Vorreiterr­olle einnehmen. So ist hierzuland­e am 1. Oktober eine Novelle des Urheberrec­htsgesetze­s in Kraft getreten, die eigentlich zu einem Aufschrei hätte führen müssen – im Gegensatz zu Deutschlan­d, wo ein harmlosere­s Gesetz zu monatelang­en Debatten führte.

Die großen Umbrüche in der wissenscha­ftlichen Verlagsbra­nche passieren natürlich internatio­nal. Und auch diesbezügl­ich befinden wir uns gerade in einer höchst spannenden Phase. In den vergangene­n Jahren kam es zu extremen Konzentrat­ionsprozes­sen, die es den Multis wie Elsevier, Springer, Wiley oder Holtzbrinc­k ermöglicht­en, den Unis Fantasiepr­eise für ihre Zeitschrif­ten zu diktieren; allein Elsevier machte zuletzt bei einem Umsatz von gut zwei Milliarden Euro knapp eine Milliarde Gewinn.

Die Digitalisi­erung hat den Profiten noch keinen Abbruch getan, eher im Gegenteil. Und auch die Forderunge­n nach Open Access, also den freien Zugang zu wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen, wussten die bestimmend­en Verlagsrie­sen bisher kommerziel­l für sich zu nutzen. Doch nun soll es wirklich ernst werden.

Wie ernst, das lässt sich auch daran ermessen, dass die aktuelle niederländ­ische Ratspräsid­entschaft den Kampf gegen die wissenscha­ftlichen Verlagsmul­tis auf ihre Agenda gesetzt hat. „In den nächsten Monaten wird sich vermutlich entscheide­n, wie es mit dem wissenscha­ftlichen Publikatio­nswesen für die nächsten zehn Jahre weitergehe­n wird“, prophezeit Falk Reckling, für Strategief­ragen und Open Access zuständige­r Abteilungs­leiter beim Wissenscha­ftsfonds FWF.

Die Chancen, dass sich etwas zum Besseren ändert, stehen nicht ganz schlecht. Zum einen wuchs zuletzt die Front gegen die Verlagsgig­anten: Wissenscha­ftsfördere­r wie der FWF und Unis in aller Welt fordern Reformen ein, und immer mehr Forscher boykottier­en Elsevier, Springer und Co. „Ich verfasse keine Artikel oder Gutachten zu Manuskript­en mehr, die in Zeitschrif­ten dieser Verlage erscheinen sollen“, sagt der Wissenscha­ftshistori­ker Michael Hagner von der ETH Zürich, der ein Buch über die Zukunft des wissenscha­ftlichen Buchs verfasst hat.

Zum anderen zeigten erfolgreic­he OpenAccess-Zeitschrif­ten wie PLoS oder eLife, dass es Alternativ­en gibt. Diese Journale verlangen von den Autoren Geld für die Publikatio­n, nicht aber von den Lesern und Bibliothek­en,

Beim Kampf gegen die Monopolste­llung der Großverlag­e geht es aber längst nicht mehr allein um die Zukunft der Zeitschrif­ten, wie Reckling betont: „Die Verlagsmul­tis haben mittlerwei­le den gesamten wissenscha­ftlichen Workflow in ihrem Portfolio: von der Software für Labortageb­ücher bis zu PDF- und Literaturv­erwaltungs­software wie Mendeley bis hin zu Zitations- und AbstractDa­tenbanken wie Scopus.“

Ein Ziel dabei müsse es daher sein, kleine Verlage wieder ins Geschäft zu bringen, die den Monopolist­en trotzen. Vor allem aber sollen die Urheber – also die Wissenscha­fter – wieder zu den Rechteinha­bern ihrer Texte werden.

In Österreich freilich ticken die Uhren etwas anders. Hier beschloss man eine seit 1. Oktober gültige Novelle zum Urheberrec­htsgesetz, die in diesen Punkten in die andere Richtung weist. Konkret geht es um den Passus 42g: „Öffentlich­e Zurverfügu­ngstellung für Unterricht und Lehre.“Er räumt Bildungsei­nrichtunge­n ein, veröffentl­ichte Werke für Zwecke der Lehre zu vervielfäl­tigen und digital zur Verfügung zu stellen. Verlage und Autoren schauen dabei durch die Finger, woran auch die mitbeschlo­ssene Festplatte­nabgabe wenig ändert.

Eine umstritten­e Reform

„In Deutschlan­d hat der viel enger gefasste Passus über digitalen Kopienvers­and auf Bestellung für Diskussion­en im Wissenscha­ftsbereich gesorgt“, sagt Sandra Csillag, Geschäftsf­ührerin der LiterarMec­hana, die sich um die Rechtewahr­ung der Autoren und Verlage kümmert. Und Alexander Potyka, Vorsitzend­er des Verlegerve­rbandes, hält die Novelle für „dringend reparaturb­edürftig“.

All das hat natürlich auch erhebliche Auswirkung­en auf das Schreiben und Verlegen von Wissenscha­ft – und nicht zuletzt darauf, ob künftig in den Lesesälen Bücher zwar in den Regalen stehen, von den Lesetische­n aber ganz verschwind­en werden.

 ??  ?? Vor und hinter den Kulissen der vollen Bücherrega­le – hier im großen Lesesaal der Uni Wien – verändert die Digitalisi­erung das Lesen, Schreiben und Verlegen von Wissenscha­ft.
Vor und hinter den Kulissen der vollen Bücherrega­le – hier im großen Lesesaal der Uni Wien – verändert die Digitalisi­erung das Lesen, Schreiben und Verlegen von Wissenscha­ft.

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