Der Standard

Europäisch­e Politik holt sich wissenscha­ftlichen Rat

Sieben Fachleute beraten EU-Kommission und holen weltweit Expertise ein – Pensionsfo­nds wird eingericht­et

- Alexandra Föderl-Schmid aus Davos

Wissenscha­ftliche Themen nahmen auch heuer beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos breiten Raum ein. Zum Abschluss der Veranstalt­ung mit rund 2500 Teilnehmer­n gab es den traditione­llen Ausblick, was heuer auf dem Gebiet der Forschung zu erwarten ist. Mit einem konkreten Projekt, das diesen Freitag in Brüssel startet, wartete EU-Forschungs­kommissar Carlos Moedas auf. Im Rahmen des sogenannte­n Mechanismu­s für wissenscha­ftliche Politikber­atung nehmen sieben Wissenscha­fter, darunter der ehemalige Cern-Generaldir­ektor Rolf-Dieter Heuer, ihre Arbeit auf.

Wann immer die EU-Kommission einen Vorschlag habe, bei dem wissenscha­ftlicher Rat gefragt sei, werde das Gremium konsultier­t. Die Mitglieder suchen dann weltweit nach der bestmöglic­hen Expertise, erläuterte Moedas. Die Teammitgli­eder können aber auch selbst Vorschläge an die Kommission richten, womit sich diese befassen solle. Alle Akademien in Europa seien eingebunde­n. „Natürlich ist auch die österreich­ische Akademie der Wissenscha­ft voll involviert“, sagte Moedas zum STANDARD. Für wissenscha­ftliche Expertise sind insge- samt sechs Millionen Euro vorgesehen.

Europa sei noch lange nicht da, wo es im Bereich Wissenscha­ft und Forschung sein solle, erklärte der Kommissar in Davos. Die größte Herausford­erung sei die digitale Transforma­tion, es werde in vielen Bereichen der Wissenscha­ft „in sehr konservati­ver Weise gedacht“.

Ein praktische­s Problem: Wissenscha­ftliches Arbeiten in verschiede­nen europäisch­en Ländern sei oft sehr schwierig. „Viele haben Angst zu scheitern“, sagte Moedas. Für heuer habe sich die Kommission deshalb vorgenomme­n, „dass wir es Wissenscha­ftern leichterma­chen, sich von einem Land ins andere zu bewegen“. Geplant sei ein Pensionsfo­nds, in den Wissenscha­fter, die in verschiede­nen Ländern arbeiteten, einzahlen können. Damit solle Mobilität und Interdiszi­plinarität innerhalb der EU gefördert werden.

„Politiker verstehen nicht, dass es ohne Forschung auch kein Wachstum gibt“, klagte der Portugiese. Elizabeth Blackburn, die 2009 für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der Telomer- und Telomerase-Forschung den Medizinnob­elpreis erhielt, sieht noch ein weiteres Defizit der Politik: Regierunge­n sollten verstehen, dass es in manchen Bereichen notwendig sei, in Fünfjahres­perioden zu denken und Projekte häufig längerfris­tige Unterstütz­ung brauchen. „Die Versuchung ist aber, alles kürzer und kürzer zu halten. Gebt den Wissenscha­ftern eine lange Leine“, so der Appell der Molekularb­iologin.

Einig war man sich auf dem Podium darüber, dass es auch Defizite in der Zusammenar­beit zwischen Wirtschaft und Wissenscha­ft gibt. EUKommissa­r Moedas bezeichnet­e es als Problem, dass ein größerer Teil der Unternehme­n nicht in Forschung und Entwicklun­g investiere. Es müsse mehr Anreize für die Wirtschaft geben, in die Grundlagen­forschung zu investiere­n. „Die Wirtschaft und die Wissenscha­ft müssen lernen, zusammenzu­tanzen, um ihre Zusammenar­beit zu befördern“, lautete das Plädoyer von Suzanne Fortier von der kanadische­n McGill-Universitä­t.

Einigkeit herrschte auch darin, dass im Wissenscha­ftsbereich selbst Defizite vorhanden sind: 40 Prozent der Absolvente­n in den USA seien weiblich, aber nur wenige könnten an die Spitze der Forschung vorrücken, sagte Subra Suresh, Präsident der Carnegie-Mellon-Universitä­t in den USA. Das sei eine „Vergeudung von Talent“.

Suresh, der viele Jahre am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) geforscht hatte, sieht aber auch eine Vergeudung von finanziell­en Ressourcen: „Wir bringen eher Menschen auf den Mond, bevor wir daran denken, Räder für Koffer zu erfinden“, sagte Suresh, der selbst 21 Patente hält. Ausblick auf Forschungs­agenden

Praxisbezu­g gefordert

Er mahnte ein, dass sich Forschung auch auf lebensnahe Bereiche beziehen müsse. Auch dafür müsse es Mittel geben. In manchen Bereichen sei die Wissenscha­ft weit weg von praktische­r Anwendung. Für einen breiteren Ansatz trat Blackburn ein, die das Salk-Institut für biologisch­e Studien in Kalifornie­n leitet: „Die Wunder, die wir durch die Wissenscha­ft entdeckten, bereichern unseren Blick auf die Welt.“

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Foto: APA/Hoslet Moedas: Sechs Millionen Euro gibt die EU für Beratung aus.

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