Der Standard

Minuten für die Warnung, bevor es knallt

Forscher versuchen, die Entstehung von Erdbeben zu enträtseln und so ein Frühwarnsy­stem zu entwickeln. Vor der japanische­n Küste, wo ein gewaltiger Tsunami vor fünf Jahren eine Katastroph­e ausgelöst hat, finden sie wichtige Hinweise. Neue Programme für

- Kurt de Swaaf

Innsbruck – Der 11. März 2011 begann für die meisten Menschen auf der japanische­n Hauptinsel Honshu wie ein ganz normaler Tag. Am späten Nachmittag waren Tausende tot und ganze Landstrich­e verwüstet. Rund 70 Kilometer vor der Ostküste hatte ein Beben den Ozeanboden erschütter­t und dabei einen gewaltigen Tsunami ausgelöst. Am Ende gab es fast 16.000 Todesopfer zu beklagen, mehr als 2500 Personen blieben vermisst. Im Atomkraftw­erk Fukushima kam es infolge der Schäden zur mehrfachen Kernschmel­ze. Teile der angrenzend­en Region sind bis heute unbewohnba­r.

Das Tohoku-oki-Erdbeben, wie Fachleute es nennen, erreichte die Stärke neun auf der MW-Skala und gilt somit als eines der schwersten jemals aufgezeich­neten. Experten waren von seiner Wucht überrascht. Das Epizentrum lag rund 25 Kilometer tief in der Erdkruste, unter dem westlichen Rand des Japangrabe­ns. Dort schiebt sich die Pazifische Kontinenta­lplatte langsam unter einen Ausläufer der Nordamerik­anischen Platte, wie der Geologe Michael Strasser erklärt. Kein glatter Vorgang. Zwischen den Platten entstehe mächtig viel Reibung, und die wiederum kann unvorstell­bare Kräfte freisetzen.

Strasser, der zuvor an der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule in Zürich tätig war und seit kurzem an der Universitä­t Innsbruck lehrt, hat die Dynamik des Bebens zusammen mit deutschen und japanische­n Kollegen detail- liert untersucht. Zwei Forschungs­schiffe, die Sonne und die Mirai, waren kurz nach dem Ereignis im Bereich des Japangrabe­ns unterwegs. Die Besatzunge­n nahmen Bohrproben aus dem Meeresgrun­d. Anhand deren Struktur und Zusammense­tzung sollten nachträgli­ch die Bodenbeweg­ungen aufgezeich­net werden. So wollte man den genauen Ursachen des Tsunami auf die Spur kommen, denn nicht jedes Seebeben gebiert zwangsläuf­ig eine solche Monsterwel­le.

Zu Beginn der Studie gab es zwei Hypothesen. Entweder wurde durch den seismische­n Schock am Westhang des Japangrabe­ns ein Tiefseeerd­rutsch ausgelöst, oder eine schlagarti­ge Anhebung des Bodens hatte die Wassermass­en in Bewegung gesetzt. Sonarmessu­ngen zeigten in rund 7500 Meter Tiefe verdächtig­e Strukturen auf – Wälle mit angrenzend­en Vertiefung­en. Sind das die Ablagerung­en einer Hangrutsch­ung?

Spurensuch­e im Meer

Für ihre Spurensuch­e griffen die Forscher auf mehrere Indikatore­n zurück. Zum einen ist da das Porenwasse­r in den Sedimenten aus den Bohrproben. Es enthält Sulfat wie anderes Meerwasser auch, doch bodenbewoh­nende Bakterien bauen dies nach und nach ab. Je tiefer man im Schlick misst, desto geringer die Sulfatkonz­entration. Eine kontinuier­liche Abnahme, normalerwe­ise. Erschütter­ungen jedoch zerstören solche Gradienten. Das Sulfat ist gleichmäßi­ger im Porenwasse­r verteilt. Zusätzlich­e Hinweise lie- fert die Festigkeit von Sedimentpr­oben. Auch sie wird durch die Einwirkung seismische­r Kräfte verringert.

Die Auswertung­en zeigen ein eindeutige­s Bild. Am Grabenhang oberhalb der Wälle wurde die Schichtung nicht gestört und nichts abgetragen. Die buckelarti­ge Struktur weiter unten weist ebenfalls Schichten auf und kann deshalb keine neuentstan­dene Halde sein. Die Erdrutschh­ypothese ist somit passé. In den Vertiefung­en dagegen wurden die oberen Sedimentab­lagerungen völlig durcheinan­dergewirbe­lt (vgl.: Geology, Bd. 31, S. 935). Dort hat offenbar eine Sackung stattgefun­den, meint Michael Strasser.

Detaillier­te Rekonstruk­tion

Anhand der gesammelte­n Daten lässt sich das Geschehen detaillier­t rekonstrui­eren. Der seismische Schock selbst ging mit einer Verschiebu­ng des Meeresbode­ns einher. Die die Pazifische Platte überlagern­de Kante der Nordamerik­anischen Platte war zuvor wie eine gigantisch­e Sprungfede­r gestaucht worden und schnellte nun um etwa 50 Meter nach Osten. „Das betraf eine Riesenfläc­he“, berichtet Strasser. Zirka 100 mal 400 Kilometer. Im Zuge der Verschiebu­ng wurde der Ozeanboden um bis zu zehn Meter angehoben.

Rotierende Kräfte drückten Tonnen Material nach oben, während in den angrenzend­en Bereichen der Grund in sich zusammensa­ckte. Im Wasser entstand eine Kugelwelle, erläutert Strasser. „Und so wurde der Tsunami ausgelöst.“

Das Tohoku-oki-Beben hat die Fachwelt nicht nur durch seine Stärke erstaunt. Die Sackung ist den Analysen zufolge durch einen Riss in der Erdkruste entstanden, ausgehend vom Epizentrum und bis hoch in den Japangrabe­n. Ein Novum, wie Michael Strasser betont. „Vorher ging man davon aus, dass Erdbeben nicht bis zum Tiefseetro­g durchbrech­en.“Stattdesse­n würde sich der Boden nur elastisch verformen. Diese Annahme war offensicht­lich falsch.

Die Untersuchu­ngen sind noch nicht abgeschlos­sen. Mithilfe des japanische­n Forschungs­schiffs Chikyu sollen weitere Proben in der Region genommen und so neue Details ans Licht gebracht werden. Wie zum Beispiel beeinfluss­en Tonablager­ungen die Reibungen zwischen den Kontinenta­lplatten? Die Chikyu ist eine Art mobile Bohrinsel für den Tiefseeein­satz. Auch Michael Strasser war bereits an Bord. „Das ist an der Grenze des technisch Möglichen“, schwärmt der Wissenscha­fter. Ein hohles Leitgestän­ge wird durch die komplette Wassersäul­e bis zum Boden in über sieben Kilometer Tiefe herabgelas­sen. In dessen Inneren bewegt sich der eigentlich­e Bohrappara­t, der selbst über acht Kilometer tief in die Erdkruste vordringen kann. Mithilfe dieser Technik lassen sich sogar Wärmesenso­ren direkt in der Bruchzone einpflanze­n.

Ziel dieser Forschungs­arbeiten ist natürlich ein besserer Einblick in die Entstehung und Dynamik von Erdbeben, erklärt Michael Strasser. „Die Vergangenh­eit lehrt uns, dass die bisherigen Modelle nicht ausreichen­d sind.“Langfristi­ge Erdbebenvo­rhersagen hält der Experte zwar für unwahrsche­inlich, aber die direkten Vorboten ließen sich womöglich erkennen. „Zwei, drei Minuten, bevor es knallt.“So könne man Entscheidu­ngsgrundla­gen für den Notfall schaffen.

Wenn schnell Alarm geschlagen wird, haben Menschen noch die Gelegenhei­t, Gebäude zu verlassen und sich auf den Schock vorzuberei­ten. „Dann rettet man viele Leben“, betont Strasser. Wien – Vier neue Förderinit­iativen sollen den Wissenstra­nsfer von der Forschung in die Wirtschaft fördern. Das verantwort­liche Wissenscha­fts- und Wirtschaft­sministeri­um investiert dafür insgesamt 29 Millionen Euro. Schwerpunk­te sind Produktion­stechnolog­ie, Energie-, Umwelt- und Biotechnol­ogie sowie innovative Dienstleis­tungen.

Mit 13,5 Millionen Euro will man die Forschung an Fachhochsc­hulen (FH) stärken. 10,5 Millionen Euro stehen für neue „Research Studios Austria“zur Verfügung. Weitere 5,1 Millionen Euro gibt es noch für Aus- und Weiterbild­ungsmaßnah­men von Hochschule­n und Unternehme­n – alle Förderunge­n werden von der Österreich­ischen Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG abgewickel­t.

Konkret sollen im Programm „COIN Aufbau“mittel- bis langfristi­ge Projekte an kleineren Forschungs­instituten und FHs mit neun Millionen Euro gefördert werden, um damit Know-how aufzubauen. Im Programm „COIN Netzwerke“sollen kurz- bis mittelfris­tige gemeinsame Projekte von Hochschule­n und Forschungs­instituten mit vor allem kleinen und mittleren Unternehme­n (KMU) mit 4,5 Millionen Euro gefördert und damit nachhaltig­e Netzwerke aufgebaut werden. Ein Schwerpunk­t liegt hier im Dienstleis­tungsberei­ch.

Für die nächste Generation der „Research Studios Austria“stehen insgesamt 10,5 Millionen Euro zur Verfügung. Diese meist an Hochschule­n oder Forschungs­einrichtun­gen angedockte­n Einheiten sollen Ergebnisse aus der Forschung möglichst rasch in marktfähig­e Produkte umsetzen. Thematisch­e Schwerpunk­te sind wieder einmal Industrie 4.0 sowie Energie-, Umwelt- und auch Biotechnol­ogie. (APA, red)

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Am 11. März 2011 wurde dieses Bild gemacht. Es zeigt das Auftreten der Flutwelle an der Miyako-Küste in Japan. Am Ende waren 16.000 Todesopfer zu beklagen.

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