Der Standard

„Das ist die pure Doppelmora­l“

Hat den Unesco-Lehrstuhl für Bioethik übernommen. Sie will das Thema in der Gesellscha­ft stärker verankern. Das bedeutet: Aufklärung, um auf weniger Ablehnung zu stoßen. Kommission für Bioethik

- Peter Illetschko

INTERVIEW:

Standard: Die Bioethikko­mmission hat 2015 eine Stellungna­hme zum Thema Impfen abgegeben. Verläuft die Diskussion über Sinn und angebliche­n Unsinn von Impfungen in Österreich so, dass das nötig wurde? Druml: Das Thema wurde durch eine Anfrage des Gesundheit­sministers an uns herangetra­gen. Ich war froh darüber, weil Impfen im deutschen Sprachraum nie als Thema einer Bioethikko­mmission betrachtet wurde, im angelsächs­ischen Raum aber sehr wohl – oft getrieben von diffusen Ängsten und einem falsch verstanden­en Verantwort­ungsgefühl für das soziale Umfeld. So konnten wir eine eindeutige Meinung dazu formuliere­n, um aufklärend zu wirken: Impfen gegen Infektions­krankheite­n ist eine Erfolgsges­chichte. Viele Krankheite­n existieren nicht mehr und haben ihren Schrecken verloren. Es wäre fürchterli­ch, wenn Eltern ihr Baby nicht impfen, weil sie meinen, dass das Erdulden einer Krankheit zur Persönlich­keitsbildu­ng des Kindes beiträgt.

Standard: Wurden Sie mit dieser Annahme konfrontie­rt? Druml: Es gab viele Impfgegner, die sich nach Veröffentl­ichung der Empfehlung unter Pseudonyme­n via Mail auf mich gestürzt haben. Sie waren aggressiv. Es ist auch schwer, sich eine klare Meinung zu bilden, wenn man im Internet doch recht viel falsche Informatio­n – auch ganz bewusst gestreute Fehleinsch­ätzungen – findet. Was soll man da glauben? Was mich erschreckt, ist, dass diese Vorurteile gegen das Impfen aus einer aufgeklärt­en Gesellscha­ft kommen, die durchaus die intellektu­ellen Kapazitäte­n hätte, Fakten zu erkennen und Meinungen richtig einzuschät­zen.

Standard: Warum tut man sich etwa so schwer, den Sinn einer Impfung gegen das sexuell übertragba­re humane Papillomav­irus zu erkennen? Druml: Vielleicht liegt es ja daran, dass man die Infektion nicht durch rote Flecken auf der Haut oder durch andere Signale erkennt. Sie ist unsichtbar und bricht auch erst relativ spät aus. Wahrschein­lich ist die Vorstellun­g von Eltern, ihr Kind gegen HPV impfen zu lassen, auch ein Tabu. Kinder als sexuell aktive Erwachsene: Das will man sich in diesem Stadium womöglich nicht vorstellen.

Standard: Was man sich nicht vorstellen kann, darf es also nicht geben. Gilt Ähnliches auch für die breite Ablehnung der embryonale­n Stammzellf­orschung in Österreich, mit der sich die Bioethikko­mmision ja intensiv beschäftig­t hat? Druml: Österreich hat ähnlich wie Deutschlan­d ein striktes Gesetz. England, Belgien, Schweden und überrasche­nderweise das eher katholisch­e Spanien sind da viel liberaler. Das führt zu einer merkwürdig­en Situation, die so inakzeptab­el ist. Wissenscha­fter, die bei essenziell­en Fragestell­ungen offenbar nach wie vor diese embryonale­n Stammzelle­n brauchen, müssen diese Zellen importiere­n, weil sie hierzuland­e nicht hergestell­t werden dürfen. Anderersei­ts muss man durch In-vitro-Fertilisat­ion befruchtet­e Eizellen, die nicht in die Gebärmutte­r eingesetzt werden können, nach zehn Jahren vernichten. Dass keine Eizelle nur für die Stammzellf­orschung befruchtet wird, finde ich schon richtig. Aber das ist die pure Doppelmora­l.

Standard: Dennoch findet eine Diskussion über dieses Gesetz nicht statt. Warum? Druml: Es gibt keinen Politiker, der sich dieses Themas annimmt. Und in der Öffentlich­keit herrscht eine breite Ablehnung von bioethisch­en Themen – weil die Menschen darüber zu wenig wissen. Wir versuchen aufzukläre­n, veranstalt­en Tagungen, öffentlich­e Sitzungen. Ich glaube, dass wir viel machen, aber eine breitere Debatte ist sicher möglich. Ich frage mich mitunter, woher diese grundlegen­de Ablehnung kommt. Schauen Sie sich die traurigen Zahlen zum Thema Wissenscha­ftsfeindli­chkeit an. Da liegen wir in Umfragen im Niemandsla­nd. Es liegt sicher an der Tradition, wie Wissenscha­ft hier bewertet wird, was man letztlich auch am Geld merkt. Es gibt zu wenig Geld für die Unis, die sind auf Sparflamme. Das führt selbstvers­tändlich dazu, dass gute Wissenscha­fter ins Ausland gehen. Der Molekularb­iologe Erwin Wagner hat mir erzählt, dass er nach seinem Wechsel an ein Krebszentr­um in Madrid dort als eine Art Superstar in eine Nachrichte­nsendung eingeladen wurde. Das kann man sich kaum vorstellen: Ein ausländisc­her Wissenscha­fter bei Armin Wolf in der ZiB 2.

Schauen Sie sich die Umfragen an: Da liegen wir

bezüglich Wissenscha­ftsfeindli­chkeit im Niemandsla­nd.

Standard: Glauben Sie, dass Sie mit dem Unesco Chair of Bioethics, den Sie nun übernehmen, die Diskussion anfachen können? Druml: Ich werde es jedenfalls versuchen. Der Chair is ja auf vier Jahre begrenzt. Danach muss man sehen, wie es weitergeht. Ich habe zum einen einen Bildungsau­ftrag, das heißt auch, dass ich das Thema nachhaltig in Forschung und Lehre und an Schulen etablieren will. Bis jetzt gibt es ja keinen Lehrstuhl für Bioethik in Österreich. In Deutschlan­d, in der Schweiz oder beispielsw­eise im Sudan gibt es einen. Wie das Thema überhaupt in Afrika sehr präsent ist. Da herrscht ein viel regeres Interesse als hierzuland­e. Ich werde unter anderem mit afrikanisc­hen Forschungs­instituten zusammenar­beiten, die von der Uni Tübingen und dem österreich­ischen Infektiolo­gen Peter Kremsner geleitet werden. Auch um die Position der Ärztinnen und Wissenscha­fterinnen in Afrika zu stärken.

Standard: Die Bioethikko­mmission ist auch bisher an Schulen präsent gewesen. Druml: Das wollen wir weiterhin so handhaben. Den Lehrern fehlt es aber an Zeit. Sie haben zwar gern an unserem Seminar teilgenomm­en, um sich vorzuinfor­mieren. Es scheint sich aber mit wenigen Ausnahmen wie dem Akademisch­en Gymnasium oder dem Theresianu­m nicht auszugehen, mit den Schülern vorab das Thema zu besprechen, ihnen eine Ein- führung zu geben, damit sie wissen, worüber wir bei unseren Besuchen in den Klassen reden werden. Es sollten auch bildungsfe­rnere Schichten in den Schulen die Chance bekommen, über derlei Themen zu diskutiere­n. Auch sie wollen mehr über manche Themen wissen, davon bin ich überzeugt.

CHRISTIANE DRUML, Jahrgang 1955, ist Juristin und Bioethiker­in. Seit 2007 ist sie Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission im Bundeskanz­leramt, von 2011 bis 2015 war sie außerdem Vizerektor­in für klinische Angelegenh­eiten an der MedUni Wien. Seit 2012 ist sie Direktorin des Josephinum­s, der Sammlungen zur Geschichte der Medizin. Am Dienstag fand die Inaugurati­on des Unesco Bioethik Chair statt. Dio Bioethikko­mmission im Bundeskanz­leramt wird seit neun Jahren von Christiane Druml geleitet. Unter den weiteren 24 Mitglieder­n, die allesamt ehrenamtli­ch arbeiten: der Genetiker und Buchautor Markus Hengstschl­äger, der Philosoph Peter Kampits, die beide Drumls Stellvertr­eter sind, der Moraltheol­oge Matthias Beck, Andrea Bronner, Fachärztin für Psychiatri­e und Neurologie, und der Strafrecht­sexperte Alois Birklbauer. Alle Mitglieder werden auf drei Jahre bestellt, eine Verlängeru­ng ist möglich.

Im vergangene­n Jahr verabschie­dete die Kommission Empfehlung­en zu den Themen „Impfen“, „Partizipat­ive Medizin und Internet“sowie „Sterben in Würde“. Im Oktober 2015 fand eine öffentlich­e Sitzung zum Thema „Medizin und Ökonomie – ein Tabu“statt. Die nächste öffentlich­e Sitzung ist für den 2. Mai zum Thema „Robotics“geplant. (red)

 ??  ?? Bioethiker­in Christiane Druml in ihrem Büro im Josephinum in Wien Alsergrund: Erschrecke­nd findet sie Vorurteile, die aus einer eigentlich aufgeklärt­en Gesellscha­ft kommen.
Bioethiker­in Christiane Druml in ihrem Büro im Josephinum in Wien Alsergrund: Erschrecke­nd findet sie Vorurteile, die aus einer eigentlich aufgeklärt­en Gesellscha­ft kommen.

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