Der Standard

Mit der Mittagsson­ne abends fernschaue­n

In einem Studentenh­eim in der Wiener Seestadt Aspern wird die Nutzung von Photovolta­ik und großen Energiespe­ichern erprobt

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Wien – Auf dem Dach des Green House befinden sich 738 Photovolta­ikpaneele mit einer Gesamtfläc­he von mehr als 1200 Quadratmet­ern und einer Maximallei­stung von 222 Kilowatt. Jährlich sollen sie 218.000 Kilowattst­unden an Strom erzeugen, was etwa dem Verbrauch von 87 Haushalten entspricht. Tief unter der Erde in einem Raum hinter der Sammelgara­ge befinden sich mehrere kleiderkas­tengroße Batteriesp­eicher, die die Anlage ergänzen. Ihr verfügbare­r Speicherin­halt beträgt 137 Kilowattst­unden und könnte so einen Normalhaus­halt zweieinhal­b Wochen versorgen.

Zum Vergleich: Die günstigen Hausspeich­er, mit deren Ankündigun­g der US-Hersteller Tesla Aufsehen erregt hat, sollen über eine Kapazität von sieben und zehn Kilowattst­unden verfügen. Bei Sonne soll der Green-HouseSpeic­her in nur einer Stunde aufgeladen sein.

In den Stockwerke­n zwischen der Solaranlag­e auf dem Dach und Batteriesp­eicher im zweiten Untergesch­oß befindet sich ein Studentenh­eim mit 313 Wohneinhei­ten. Es ist seit knapp einem Jahr in Betrieb und längst „bummvoll“, wie die Betreiber sagen. Solarkraft­werk und Speicher, die von den Heimbetrei­bern (WBV-GPA, ÖJAB und ÖAD) von der Wien Energie gepachtet wurden, tragen dazu bei, den Energiebed­arf des Gebäudes zu minimieren.

Bei entspreche­ndem Wetter soll der Netzbezug des Gebäudes bei null liegen oder sogar Überschüss­e produziere­n. Für die Betreiber ist es das „weltweit energieeff­izienteste Wohnheim für Studierend­e“. Rechnerisc­h liege das Haus über das Jahr bei 20 Prozent unter der Nullenergi­e.

Das Green House ist eines von drei Gebäuden, über das im Rahmen eines mehrjährig­en Forschungs­projekts der Aspern Smart City Research (ASCR) Daten gesammelt werden. Begonnen haben die Untersuchu­ngen mit Jänner 2016. In 15 der Zimmer werden hier – mit Einverstän­dnis der Bewohner – detaillier­te Daten über Stromverbr­auch, Wärmebedar­f und Luftqualit­ät im Zimmer aufgezeich­net. Das soll darüber Aufschluss geben, ob das tatsächlic­he Nutzerverh­alten den Annahmen bei der Planung des Hauses mit seiner speziellen Ökotechnik entspricht.

Die Gesellscha­fter der ASCR sind neben der Wien Energie die Wiener Netze, Siemens, die Wien 3420 Aspern Developmen­t AG und die Wirtschaft­sagentur Wien. Bis 2018 stehen der Forschungs­gesellscha­ft insgesamt 38,5 Millionen Euro zur Verfügung. 3,7 Millionen kommen vom Klimaund Energiefon­ds.

Energiespa­rtechnik

Die besondere Technik des Passivhaus­es besteht unter anderem aus CO -Sensoren in den Zimmern, die mit der Lüftung gekoppelt sind, um immer die richtige Menge Frischluft zuzuführen. Wärmetausc­her gewinnen einen Großteil der Wärme zurück. Mikrowelle­nherde, Dunstabzug­shauben, Lüftungsve­ntilatoren und andere Geräte wurden vor der Anschaffun­g auf ihren tatsächlic­hen Verbrauch getestet. Alle Standardge­räte sind verfügbar, bei mitgebrach­ten Geräten wollen die Betreiber die Bewohner aber „nicht bevormunde­n“. Mittlerwei­le würden Studierend­e ohnehin nicht mehr den „Fernseher von der Oma“mitbringen, sondern allesamt am Notebook fernschaue­n.

Nicht nur die Nutzungsge­wohnheiten der Studierend­en, auch das „Verhalten“des Wohnheims selbst soll evaluiert werden, so ASCR-Geschäftsf­ührer Reinhard Brehmer. Die Solarmodul­e sind ost- und westseitig so angeordnet, dass über eine möglichst lange Zeitspanne am Tag Strom generiert wird. An wärmeren Tagen soll der tagsüber aufgeladen­e Batteriesp­eicher reichen, um trotz der hohen Dichte an Küchen (eine pro Wohneinhei­t) über die Nacht zu kommen. Das Zusammensp­iel aus Erzeugung, Verbrauch und Speicherun­g wird beobachtet, um für künftige SmartCity-Projekte zu lernen. (pum)

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