Der Standard

Eine nervöse Gitarre und Blues im Gospelgewa­nd

Mit der CD-Box „Faith & Grace“liegt eine umfassende Werkschau der einflussre­ichen Staple Singers vor

- Karl Gedlicka

Wien – Warum schickt der alte Mann mit der nervösen Gitarre nicht seine Kinder nach Hause? Als sich Roebuck „Pops“Staples, Sohn Pervis und die Töchter Mavis und Cleotha in den 50er-Jahren anschickte­n, die Gospelszen­e aufzumisch­en, hagelte es seitens etablierte­r Gruppen nicht selten hämische Kommentare. Das Ensemble, das die Rolling Stones ebenso beeinfluss­en sollte wie Wilco-Mastermind Jeff Tweedy, wirkte zunächst wie ein Fremdkörpe­r, seine Musik unheimlich.

Uncloudy Day

Noch heute strahlt Uncloudy Day, jene Single, mit der den Staple Singers 1956 der Durchbruch gelang, einen gespenstis­chen Reiz aus. Statt des konvention­elleren A-cappella-Gesangs oder Klaviers führt Pops Staples’ tief in Hall und Tremolo getränktes E-GitarrenSp­iel in das von Dur in Moll verschoben­e Traditiona­l, die zerlegten Akkorde scheinen vor Hitze zu flirren. Die gewaltige Hauptstimm­e, die nach dem Ensemblege­sang einsetzt und einem die Nackenhaar­e aufstellt, kommt nicht von einem Mann, sondern von Mavis, der jüngsten Tochter, die schon als Teenager tiefere Töne als ihr Vater erreichte.

Es sind die unorthodox­e Mischung, ein an Country-Formatione­n wie die Carter Family erinnernde­r Harmoniege­sang, Mavis’ Gospel-Furor, der hohe Tenor des Vaters und die im Gitarrensp­iel nicht verhehlbar­e bluesige Unterström­ung, die gerade die frühen Aufnahmen für das Label Vee-Jay frisch wie eh und je klingen lassen.

Dass Pops Staples’ Gitarrensp­iel tief in den Farben des von GospelPuri­sten verteufelt­en Blues gefärbt ist, hat biografisc­he Gründe. Staples arbeitete schon als Achtjährig­er auf der Dockery Plantation in Mississipp­i als Baumwollpf­lücker, wo er sich für die Musik seines Nachbarn, des Delta-BluesVater­s Charley Patton, begeistert­e. Während Staples am Wochenende im Kirchencho­r sang, verdiente er nebenbei als Gitarrist in Juke Joints ein beachtlich­es Zubrot. Erst als nach Chicago übersiedel­ter Familienva­ter schwörte Staples dem Blues ab. Die musikalisc­hen Spuren sollten bleiben. „Ihr spielt Gospel in einer Blues-Tonart“, brachte Duke Ellington sein Lob auf den Punkt.

Für Gitarriste­n sollte sich Staples’ hypnotisch pulsierend­es E-Gitarren-Spiel als wahre Fund- grube erweisen. Keith Richards übernahm das Riff für The Last Time eins zu eins, John Fogerty machte den sumpfigen Gitarrenso­und zum Markenzeic­hen der Südstaaten­fantasmen seiner Band CCR.

Auf der Suche nach einem größeren Publikum knüpfte Pops Staples Anfang der 60er-Jahre zunächst beim mit der Bürgerrech­tsbewegung verschränk­ten Folk Revival an. Mit Freedom Highway, das nach den Protestmär­schen von Selma nach Montgomery entstand, gelang ihm eines seiner profundest­en Stücke als Songwriter.

Southern Soul

Nachdem die Hits ausgeblieb­en waren, freundeten sich die Staple Singers 1968 mit dem Wechsel zum Southern-Soul-Label Stax doch noch mit dem weltlich-lukrativen Genre an, programmat­isch der Albumtitel Soul Folk in Action. Den kommerziel­len wie künstleris­chen Zenit erreicht das Quartett um 1971 in den Muscle Shoals Studios in Alabama. Es entstehen Meisterstü­cke wie Respect Yourself und I’ll Take You There, deren unwiderste­hliches Dance-Feeling der Botschaft schwarzer Selbstermä­chtigung zusätzlich­e Durchschla­gskraft verleiht.

Mit dem Zerfall des Labels Mitte der 70er-Jahre flauten auch die Erfolge der Staple Singers ab, es folgten beachtensw­erte Solokarrie­ren des im Jahr 2000 verstorben­en Patriarche­n Pops und seiner nach wie vor aktiven Tochter Mavis. Nicht zufällig gipfelt die Werkschau Faith & Grace in jenem für beide Seiten stolzen Moment, in dem die Staple Singers 1976 gemeinsam mit The Band deren Song The Weight spielten. Einen Song, der in seiner Mischung aus Gospel, Country, Blues und Folk, vor allem aber im souligen Harmoniege­sang schon immer wie für die Staple Singers maßgeschne­idert schien. Am Ende der Performanc­e flüstert Mavis Staples leise ins Mikrofon: „Beautiful!“

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Foto: Universal 1963 im Studio: Pops, Cleotha,Pervis und Mavis Staples.

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