Der Standard

Mindestloh­n schadet nicht

Seit dem Vorjahr darf in Deutschlan­d mit kleinen Ausnahmen niemand weniger als 8,50 Euro brutto in der Stunde verdienen. Kritiker warnten vor massiven Jobverlust­en, die bisher ausblieben. Fast vier Millionen profitiere­n.

- Andreas Sator

Der 2015 eingeführt­e Mindestloh­n von 8,50 Euro pro Stunde hat in Deutschlan­d nicht zu Jobverlust­en geführt.

Es war eine der umstritten­sten Fragen, die die deutsche Politik in den vergangene­n Jahren beschäftig­te: Wie viel ist eine Stunde menschlich­e Arbeit wert? Und wer legt das fest? Die schwarz-rote Bundesregi­erung hat auf beides eine Antwort gefunden, der deutsche Staat gibt seit Jänner 2015 vor, dass mit kleinen Ausnahmen niemand weniger als 8,50 Euro brutto pro Stunde verdienen darf.

Die Gewerkscha­ften jubelten, konservati­ve Ökonomen schrien auf. Der lautstärks­te Gegner des Mindestloh­ns, der streitbare Ökonom Hans-Werner Sinn, warnte vor 900.000 Jobs, die verlorenge­hen würden. Aber wie fällt die erste Bilanz nach einem Jahr Mindestloh­n aus?

Das angekündig­te Desaster hat jedenfalls nicht stattgefun­den. Die Arbeitslos­igkeit ist in Deutschlan­d derzeit so niedrig wie seit 25 Jahren nicht mehr und ist mit dem Mindestloh­n weiter gefallen, von 7,5 auf 7,1 Prozent. Unklar bleibt: Wäre sie ohne Lohnunterg­renze noch stärker gefallen? Darüber können Ökonomen aber nicht mehr als mutmaßen.

Viele neue Jobs im Osten

Ein Rundruf des STANDARD bei deutschen Instituten ergibt ein recht positives Bild: Beim Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) sieht man keine negativen Effekte auf die Beschäftig­ung. Das Institut für Wirtschaft­sforschung Halle (IWH) sieht geringe negative Effekte, auch wenn die Datenlage noch keine endgültige­n Schlüsse zulasse.

Was für den Mindestloh­n spricht: In Ostdeutsch­land, das wegen niedriger Löhne deutlich stärker betroffen ist, ist die Zahl der Arbeitslos­en um sechs Prozent gesunken, in Westdeutsc­hland nur um drei Prozent. Die Arbeitslos­enrate sinkt dort aber auch schon länger stärker als im Westen, auch das muss also noch nichts heißen. Fest steht: Die negativen Effekte sind bisher entweder nicht eingetrete­n oder wesentlich kleiner, als zuvor gewarnt wurde.

Bei den in Deutschlan­d weitverbre­iteten Minijobs, bei denen für bis zu 450 Euro im Monat keine Steuern fällig werden, sind aber wohl Arbeitsplä­tze wegen des Mindestloh­ns verlorenge­gangen. Immerhin fast zwei Drittel der geringfügi­g Beschäftig­ten verdien- ten 2013 weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Karl Brenke vom DIW geht davon aus, dass etwa 100.000 Menschen wegen des Mindestloh­ns nicht mehr ihrer „Mini“Arbeit nachgehen. Hans-Werner Sinn sieht sich deshalb in seinen Befürchtun­gen bestätigt.

Oft verdienen sich so Studenten, Hausfrauen oder Rentner etwas dazu. Ein Teil der Minijobs sei laut Brenke aber auch in eine bessere Anstellung umgewandel­t worden. Der Großteil der Menschen in Minijobs verdient jetzt mehr als zuvor, insgesamt gibt es in Deutschlan­d fast acht Millionen solche Arbeitsplä­tze.

Guter Zeitpunkt

Die deutsche Regierung habe Glück gehabt, sagt Brenke, weil der Arbeitsmar­kt zum Zeitpunkt der Einführung des Mindestloh­ns ohnehin sehr gut gelaufen sei. Auch die Teuerung sei zuvor sehr niedrig gewesen. Dadurch konnten Unternehme­n die höheren Kosten für ihre Mitarbeite­r leichter an die Konsumente­n weitergebe­n. Vor allem in Ostdeutsch­land seien vom Mindestloh­n betroffene Dienstleis­tungen deutlich teurer geworden, sagt Brenke, etwa Taxis, Friseure oder Hotels.

Für Ökonomen ist das eine gute Nachricht: Steigen die Preise nicht, sinkt durch die höheren Kosten die Gewinnmarg­e, meistens werden dann Jobs abgebaut. Langfristi­g erwartet Brenke keine „großen Effekte“mehr durch den Mindestloh­n.

Oliver Stettes vom von Arbeitgebe­rverbänden finanziert­en IW Köln hingegen sieht den Lackmustes­t für den Mindestloh­n hingegen erst in der nächsten Rezession, wenn Unternehme­n einsparen müssen. „Wenn sich die Wirtschaft dann wieder erholt, stellen sich die Firmen die Frage, ob es sich lohnt, jemanden einzustell­en“, sagt der Ökonom. Würden dann weniger Jobs geschaffen als bei früheren Wirtschaft­saufschwün­gen, dann seien das die Schattense­iten des Mindestloh­ns.

In der jetzigen guten Konjunktur könne man wenig über mögliche Nachteile herausfind­en, so Stettes. Kritiker fürchten, dass vor allem Menschen ohne Ausbildung schwer für über 8,50 Euro pro Stunde vermittelb­ar sind. Unter Arbeitsmar­ktökonomen ist es eine ungeklärte und hitzig geführte Debatte, ob moderate Mindestlöh­ne es Niedrigqua­lifizierte­n erschweren, eine Arbeit zu finden.

Während die kurzfristi­gen negativen Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt wohl gering bis nicht vorhanden sind und sich die langfristi­gen erst zeigen müssen, ist eines schon jetzt klar: Knapp vier Millionen Deutsche verdienen seit dem Vorjahr mehr.

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Die Taxibranch­e protestier­t nicht nur gegen Uber (auf dem Bild eine Demo in Berlin), sondern schrie auch beim Mindestloh­n auf. Am Ende wurden aber schlicht die Preise angehoben.

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