Der Standard

„Die Stabilität ist das Hauptinter­esse Riads in Ägypten“

Nach Kairo ist in den vergangene­n Jahren viel saudisches Geld geflossen. Aber Riad ist nicht zufrieden mit der Entwicklun­g, sagt Nahost-Experte Matthias Sailer.

- Gudrun Harrer

INTERVIEW: Standard: Saudi-Arabien hat 2013 die Absetzung des Muslimbrud­erPräsiden­ten Mohammed Morsi in Ägypten unterstütz­t, im vergangene­n Jahr war jedoch eine Verschlech­terung der Beziehunge­n zu verzeichne­n. Woran liegt das? Sailer: Saudi-Arabien ist unzufriede­n mit der wirtschaft­lichen und politische­n Entwicklun­g Ägyptens. Zusammen mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten hat Saudi-Arabien seit dem Sturz Morsis zwischen 25 und 41,5 Milliarden US-Dollar in Form von Zuwendunge­n, günstigen Krediten und Öl an Ägypten fließen lassen. Doch die ägyptische Wirtschaft ist nach wie vor in einem desolaten Zustand. Man fragt sich also, wo die positiven Resultate dieser Golf-Unterstütz­ung bleiben.

In Riad ist man zudem enttäuscht darüber, dass es bis heute keinerlei Versöhnung­sprozess mit der ägyptische­n Opposition einschließ­lich der Muslimbrud­erschaft gibt. Das wäre für SaudiArabi­en an sich kein Problem, wenn es in Ägypten zu Stabilität führen würde. Aber man zweifelt inzwischen, dass diese Strategie der totalen Unterdrück­ung funktionie­rt. Zusammen mit der schlechten Wirtschaft­s- und Fi- nanzsituat­ion sieht Saudi-Arabien daher die Stabilität Ägyptens und damit Saudi-Arabiens Hauptinter­esse in Gefahr.

Standard: Hat Riad seine Einstellun­g zur Muslimbrud­erschaft – die König Abdullah als gefährlich­e, zersetzend­e Kraft betrachtet­e – grundlegen­d verändert oder nur auf Eis gelegt, um eine sunnitisch­e Allianz gegen den Iran zu schmieden? Sailer: Die Muslimbrud­erschaft wird von der saudischen Führung zwar nach wie vor als eine Bedrohung gesehen. Doch heute ist die Organisati­on stark geschwächt, und in den Augen Riads geht vom Iran derzeit die mit Abstand größte Gefahr für die eigene Herrschaft aus. Die Wiederannä­herung an die Muslimbrüd­er ist daher pragmatisc­her Natur. Sowohl im Jemen als auch in Syrien hat es für SaudiArabi­en Sinn gemacht, mit der Bruderscha­ft zusammenzu­arbeiten. In beiden Ländern sieht Riad eine Front gegen den Iran, und die Muslimbrud­erschaft war hier nützlich.

Standard: In Saudi-Arabien regt sich Unmut wegen des Sparprogra­mms – auch weil gleichzeit­ig so viel Geld ins Ausland fließt, wie eben nach Ägypten. Kann Riad Kairo finanziell fallenlass­en? Sailer: Das ist unwahrsche­inlich. Die Stabilität des Landes ist das Hauptinter­esse Riads in Ägypten. Würden Saudi-Arabien und die Emirate ihre Unterstütz­ung vollständi­g einstellen, ohne dass sich ein anderer Geldgeber findet, liefe Ägypten Gefahr, zu einem gescheiter­ten Staat zu werden. Hinzu kommt, dass Riad dann seinen Einfluss auf Ägyptens Außenpolit­ik verlieren würde. Wahrschein­licher ist, dass die materielle Unterstütz­ung Saudi-Arabiens deutlich reduziert wird. Das beobachten wir auch jetzt schon.

Standard: Kann das Königreich den von ihm selbst niedrig gehaltenen Ölpreis wirklich viele Jahre lang durchhalte­n? Sailer: Saudi-Arabiens gegenwärti­ger Einfluss auf den Ölpreis wird überschätz­t. Würde es seine Fördermeng­e drosseln, würden vermutlich andere Förderer, zum Beispiel aus den USA, dessen Marktantei­l übernehmen. Es gibt im Moment einfach zu viel Öl auf dem Markt, und die Nachfrages­eite scheint sich mit Blick auf China ebenfalls negativ zu entwickeln. Doch Saudi-Arabien hat einen langen Atem, da es über mehr als 600 Milliarden US-Dollar Devisenres­erven verfügt und kaum verschulde­t ist. Ich war selbst im Dezember in Riad und habe die Reaktion auf die Benzin- und Strompreis­erhöhung miterlebt. Das gefällt den Menschen nicht, aber gleichzeit­ig ist zu hören, dass der Preis noch immer niedrig ist. Wir sehen also im Moment keinen akuten Druck der Bevölkerun­g auf das Herrscherh­aus.

Was jedoch zu beobachten bleibt, ist das Verhalten all der Clans der Königsfami­lie, die an Einfluss verlieren. Derzeit sehen wir eine zunehmende Monopolisi­erung der politische­n Machtzentr­en im Salman-Clan. Das gab es in dieser Form bisher nicht, und es könnte durchaus sein, dass Teile der Königsfami­lie versuchen werden, sich dagegen zu wehren, zum Beispiel indem sie das Dahinschme­lzen des Reichtums des Landes vermehrt thematisie­ren. Die Situation wird noch schwierige­r werden, sobald die restriktiv­ere Ausgabenpo­litik Riads in einem Rückgang an Arbeitsplä­tzen sichtbar wird.

Standard: Wie sehen Sie die ägyptisch-saudischen Unterschie­de in der Position zu Syrien? Sailer: Hier geht es vor allem um die Person Bashar al-Assads. Ägypten hätte kein grundsätzl­iches Problem damit, wenn Assad eine wichtige Rolle im zukünftige­n Syrien spielen würde. Für Saudi-Arabien kommt das vor allem wegen dessen Nähe zum Iran jedoch nicht infrage.

MATTHIAS SAILER forscht an der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) in Berlin betreffs Golfstaate­n und Ägypten. pLangfassu­ng des Interviews:

dSt.at/Saudi-Arabien

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