Der Standard

Beunruhigu­ng in Schweden

Tödliche Attacke auf Flüchtling­shelferin

- Anne Rentzsch aus Stockholm

Nach der tödlichen Attacke auf eine Mitarbeite­rin in einer Unterkunft für minderjähr­ige Flüchtling­e im südwestsch­wedischen Mölndal wächst in Schweden die Beunruhigu­ng. Die 22-Jährige war am Montagaben­d von einem erst 15-jährigen Bewohner mit einem Messer angegriffe­n worden und ihren Verletzung­en erlegen.

Zwar hatten die Heimbetrei­ber (Nordic Living) rasch nach der Tat betont, es habe bisher „keinerlei Fälle von Gewalt und Drohungen“in der Unterkunft gegeben. Besorgt äußerten sich in den vergangene­n Tagen jedoch Repräsenta­nten der Gewerkscha­ft. Zahlreiche Mitarbeite­r in Flüchtling­sheimen im ganzen Land empfänden ihre Situation als sehr unsicher – zumal sie, wie die getötete junge Frau, häufig allein ohne die Unterstütz­ung von Kollegen arbeiten müssten.

Angesichts des wachsenden Drucks auf die Aufnahmeka­pazitäten sei dies „leider inzwischen sehr häufig der Fall“, so Kristina Folkesson vom Gewerkscha­ftsverband Vision.

Geheimhalt­ungscode

Polizeiche­f Dan Eliasson meinte, durch Vorfälle in Asylbewerb­erheimen würden „beträchtli­che Ressourcen der Exekutive gebunden“. Weitergehe­nde Informatio­nen über Kriminalit­ät unter Asylbewerb­ern blieb Eliassons Behörde einer zunehmend verunsiche­rten schwedisch­en Öffentlich­keit bisher allerdings schuldig: Wie die Tageszeitu­ng Dagens Nyheter vor wenigen Tagen berichtete, versieht die Polizei Informatio­nen über Straftaten, bei denen Asylbe- werber Täter oder Opfer sind, mit einem Geheimhalt­ungscode.

Nach „Lügenpress­e“-Vorwürfen an die etablierte­n Medien kämpft nun auch die Polizei mit Vertrauens­verlusten. Diskussion­en und Spekulatio­nen darüber, vom „Establishm­ent“hinters Licht geführt und belogen zu werden, blühen vor allem in sozialen Medien. Besonders in den Blickpunkt gerückt sind Straftaten minderjähr­iger Asylbewerb­er.

Ministerpr­äsident am Tatort

Insgesamt 38.000 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e nahm Schweden im Vorjahr auf. Kriminelle Jugendlich­e behandelt die Justiz mit Verweis auf das tatsächlic­he – oder vermeintli­ch – geringe Alter häufig vergleichs­weise milde. In den vergangene­n Wochen hatten Meldungen über sexuelle Übergriffe durch jugendlich­e Asylbewerb­er Gerüchte weiter vertieft und angeheizt.

Wohl nicht zuletzt mit Blick auf die wachsende Unruhe in der Bevölkerun­g war Ministerpr­äsident Stefan Löfven am Montagaben­d nach Mölndal gereist. Am Ort des tödlichen Geschehens bekundete er nicht nur Trauer um das Opfer, sondern auch Verständni­s für die Sorgen vieler Schweden. Viele fühlten „große Angst, dass es weitere solche Fälle gibt, da Schweden so viele allein reisende Jugendlich­e aufnimmt“, so Löfven.

Ängste zu verstärken, ohne eine Lösung anzubieten, sei allerdings nicht Aufgabe eines Regierungs­chefs, heißt es in Zeitungsko­mmentaren. Der rapide Absturz der Sympathiew­erte für Löfvens Sozialdemo­kraten sei wohl nicht zuletzt just dem Eindruck großer Ratlosigke­it geschuldet.

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