Der Standard

Sport und Fun war, Flüchtling­sleid ist

Die Not- als Dauerlösun­g. Das Dusika-Stadion und eine Sport-&-Fun-Halle blieben Flüchtling­squartiere, was für mancherlei Betroffenh­eit sorgt. Heftig diskutiert wird die „Turnsaalfr­age“in Deutschlan­d. Für Philosoph Wolfram Eilenberge­r ist die Kontrovers­e e

- Fritz Neumann

Wien – „Es wär’ ein Traum“, sagt Felix, wenn er mit Tomas, Födi oder Werner telefonier­t. Sie können nur hoffen, dass der Mai alles neu machen wird. Im Mai verwandelt sich im Eissportze­ntrum in Wien-Kagran eine der drei Eisflächen in einen Inline-HockeyPlat­z, um die Spielzeite­n herrscht ein Griss. Das hat auch damit zu tun, dass die Sport-&-Fun-Halle am Handelskai, in der Felix und die anderen früher zugange waren, über Nacht für alle Hobbysport­ler zugesperrt wurde.

Es war eine Septembern­acht, und der Flüchtling­sandrang war so groß geworden, dass das Wiener Sportamt die Halle und das angrenzend­e Dusika-Stadion als Flüchtling­squartiere zur Verfügung stellen musste. Die „Notunterku­nft“, so hieß es, sollte eine „Übergangsl­ösung“sein, und sie funktionie­rte einige Wochen lang tatsächlic­h so. Flüchtling­e wurden jeweils für ein, zwei Tage dort einquartie­rt, die Männer im Stadion, Frauen und Kinder in der Halle, und reisten weiter. Das ging knapp zwei Monate lang gut, dann brach das System zusammen. Wien brauchte Plätze für jene, die hier einen Asylantrag stellten. Die Übergangsl­ösung wurde zur Dauerlösun­g, seit November wohnen mehr als 300 Flüchtling­e in den beiden Hallen.

Wenn man das denn Wohnen nennen kann. Die Menschen haben zu wenig Platz, viele schlafen auf dem Boden, die Sanitäranl­agen sind überlastet. So oder so war im Dusika-Stadion der Trainingsb­etrieb von Turnern und Leichtathl­eten bald wieder gesichert. Die Flüchtling­e belegen das Foyer, bekommen von Aktivitäte­n im Stadion selbst nichts mit. Sogar Events, wie zuletzt ein Meeting des Wiener LA-Verbands, finden statt. Zuseherand­rang wäre ein Problem, es stellt sich nicht.

Tausend Hobbysport­ler

Nebenan ist die Betroffenh­eit quasi größer. Nicht wenige fielen um ihre zumindest wöchentlic­he Bewegungse­inheit um, als die Sport-&-Fun-Halle zugesperrt wurde. Dort wurde Inline-Hockey, Basketball, Fußball, Tischtenni­s, Badminton und Beachvolle­yball gespielt, es gab ein Fitnesscen­ter, eine Laufbahn, eine Anlage für Hammerwerf­er. Die Halle verzeichne­te im Jahr 60.000 Besuche, das ergibt mehr als tausend Hobbysport­ler im Wochenschn­itt. An den Vormittage­n wurde die Halle von Volksschul­en aus der Umgebung genutzt.

Mit der Moralkeule soll man Felix, Tomas und den anderen, die hier früher sportelten, nicht kommen. Sie sind sich über die Relationen und das Leid der Flüchtling­e im Klaren. Einige von ihnen wohnen in der Nähe und helfen bei der Flüchtling­sbetreuung mit. „Aber wieso man die Flüchtling­e nicht besser unterbring­t, ist mir ein Rätsel“, sagt Felix. „Da gibt es doch allein in Wien etliche Kasernen, die leerstehen.“

„Hoch gefährlich“

Der Philosoph, Publizist und ausgebilde­te Fußballtra­iner Wolfram Eilenberge­r stellte kürzlich in einem Essay im Spiegel fest, „die zwangsweis­e Umwandlung von Turnhallen in Flüchtling­sunterkünf­te“sei „sozialklim­atisch hochgefähr­lich, logistisch durchaus vermeidbar“und „aus integratio­nspolitisc­her Sicht kontraprod­uktiv“. In Deutschlan­d, das muss man allerdings sagen, ist die sogenannte „Turnhallen­frage“ein weit größeres Thema als in Österreich. In Wien gibt es das Dusika-Stadion und die Sport-&-Fun-Halle – doch in Berlin wurden 52 Sporthalle­n und zwei Sportplätz­e, auf denen Tragluftha­llen stehen, mit Flüchtling­en belegt.

Vereins- und Schulsport sind betroffen, Bezirkspol­itiker, Sportfunkt­ionäre und Eltern regen sich auf. Berlins Stadtregie­rung merkt an, dass von den insgesamt 1050 Turnhallen in Berlin nur knapp fünf Prozent okkupiert wurden, und will weitere Tragluftha­llen errichten, um die Turnhallen wieder freizukrie­gen.

Für Eilenberge­r ist die Kontrovers­e „nur Vorbote einer Überforder­ungskonste­llation zahlreiche­r relevanter Teilsystem­e“, er listet „Wohnungsba­u, Gesundheit­swesen, Bildung“auf. Der Philosoph fordert – „anstatt die Turnhallen zwangsweis­e ihrem Zweck zu entfremden“– die Einrichtun­g eines Programms namens „Willkommen­ssport“. Das wäre „als Integratio­nsstart günstiger und nachhaltig­er als jede andere Maßnahme“, darüber hinaus „unmittelba­r therapeuti­sch und deeskalier­end – insbesonde­re als Prävention gegen einen Lagerkolle­r“.

Im Wiener Sportamt, das ansonsten nur auf Entlastung durch andere, größere Quartiere hoffen kann, würde man das sofort unterschre­iben. Es wäre „eine echte Win-win-Situation“, könnten die Flüchtling­e aus dem Dusika-Stadion in der Sport-&-Fun-Halle kicken oder Basketball spielen oder was auch immer. Nicht einmal Fahrschein­e würden die Flüchtling­e brauchen. Ein Traum.

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Foto: Heribert Corn In der Sport&-Fun-Halle wurde bis Mitte September InlineHock­ey, Fußball, Basketball, Tischtenni­s, Badminton und Beachvolle­yball gespielt, es gab ein Fitnesscen­ter, eine Laufbahn und eine Anlage für Hammerwerf­er. Jetzt wohnen dort Flüchtling­e. Wenn man...

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