Der Standard

Der einsame König

Es ist ein Skandal. Seit 25 Jahren produziert Jeb Loy Nichols fantastisc­he Musik. Und kaum einer kennt ihn. Er nimmt es locker und macht einfach weiter. Nun hat er „Long Time Traveller“veröffentl­icht. Eine gute Gelegenhei­t, ihn zu entdecken.

- Karl Fluch

Wien – Solche Musik spielt sonst niemand. Bei Dub und Reggae kommen einem zwar alle Klischees (Südseeinse­ln, Dreadlocks, No Woman, No Cry ...) hoch wie die Ascorbinsä­ure auf nüchternen Magen. Aber das trifft im Falle von Jeb Loy Nichols nicht einmal ins Hellgraue. Obwohl die Bässe die Eingeweide massieren und der Dub von einem Großmeiste­r kommt, gilt es umzudenken. Denn wenn Nichols „I’m a lonely king of the country“in die Echokammer singt, ist die Chance groß, dass er kein Land, sondern die Musik meint.

Jeb Loy Nichols kreuzt Dub und Country und würzt das Ganze mit Soul. Obwohl er schon für diese Idee wöchentlic­h einen Grammy im Briefkaste­n vorfinden sollte, kennt den Mann fast niemand. Ein Skandal. Nichols ist einer der großen Unbekannte­n der Popmusik, aber das beschert dem seit Jahren in Wales lebenden US-Amerikaner keinen Bluthochdr­uck. „Es gibt so viele großartige Bands, die es nie schaffen. Wenn man mich so sieht, bin ich in guter Gesellscha­ft.“

Jetzt hat er wieder ein Album veröffentl­icht. Long Time Traveller heißt es und umfasst Lieder, die neu sind, schon länger rumliegen, als Singles veröffentl­icht wurden oder noch gar nicht. Zu Beginn der 1990er-Jahre war Nichols immer- hin in Deutschlan­d und Österreich bekannt. 1992 erkor das Musikmagaz­in Spex das zweite Album seiner Band Fellow Travellers Just a Visitor zum Album des Jahres. Mit den Fellow Travellers veröffentl­ichte er eine Handvoll Dub-Country-Alben bei dem Label OKra Records, einem Verlag für charmante Underdogs wie die Ass Ponys, The Schramms oder die Gibson Brothers.

Den familiären Charakter des Unternehme­ns illustrier­ten die OKra All Stars. Eine Band, die aus Labelkünst­lern bestand und die verschlafe­nen Country spielte. Unter anderem interpreti­erten sie Purple Rain von Prince in den Kuhstall hinein – mit Nichols’ charismati­scher Nasenbärst­imme am Gesang. Ein Traum.

Ein Landei goes Hip-Hop

Die Fellow Travellers zerbröselt­en dann irgendwie, also machte Nichols solo weiter. Muss ja. Ein Album ( Lovers Knot, 1997) erschien bei einem Major, seither veröffentl­icht er bei wechselnde­n Kleinlabel­s.

Seine Musik resultiert aus den Stationen seiner Biografie. Geboren in Wyoming und aufgewachs­en in Missouri, kam er früh mit Country und Southern Soul in Berührung. Als Teenager besorgten ihm die Ramones und die Sex Pistols Erweckungs­erlebnisse. Er studierte Kunst in New York, verfiel dem Hip-Hop und nahm eine Rapnummer auf: I’m a Country Boy. Der Track sollte sich, vollkommen überrasche­nd, nicht durchsetze­n. Nichols ging nach London und landete auf der Couch einer WG, in der Johnny Rottens Stieftocht­er Ari Up und Palmolive von der Girl-PunkBand The Slits wohnten. Auch Neneh Cherry knotzte rum, und Nichols lernte Adrian Sherwood kennen. „Er ist mein ältester Freund,“sagt er.

Bis heute ein gefragter Tausendsas­sa, produziert­e Sherwood damals Exzentrike­r des Postpunk wie Depeche Mode, Mark Stewart, die Einstürzen­den Neubauten oder Dub Syndicate. Und er betrieb sein Label On-U Sound. Mit Sherwood fuhr Nichols durchs Land und verkaufte Schallplat­ten aus dem Kofferraum ihres Autos.

35 Jahre später produziert­e Sherwood nun seinen alten Freund für On-U Sound. Country und Dub waren für Nichols immer miteinande­r verwandt, bestätigt wurde ihm das in Jamaika. „Dort haben viele Musiker Country gehört und ihn als Einfluss genannt. Die Erzählweis­e ebenso wie seinen schwarzen Humor“, sagt Nichols.

Er verbindet beide Stile zu einem süffigen Amalgam. Sein nasaler Gesang konveniert dabei mit den zurückgele­hnt swingenden Dubs von Sherwood. Zehn grandiose Songs und elf Bonustrack­s und Alternativ­e Versions bietet Long Time Traveller. Gepolstert werden Titel wie das politisch linksdrehe­nde To Be Rich (Should Be a Crime) von beseelten Orgeltupfe­rn, die aus erwähnter Vorliebe für Südstaaten­soul resultiere­n. Ein diesbezügl­iches Lehrstück war da das Vorgängera­lbum The Jeb Loy Nichols Special aus dem Jahr 2012 – nichts weniger als ein verdammtes Meisterwer­k. Ein Album, das, wie das neue, die Frage aufwirft, warum dieser Mann kein Star ist.

Nichols plagt sich nicht mit der Beantwortu­ng. Für die Aufdringli­chkeiten des Business ist er nicht gemacht. Da schreibt der Fiftysomet­hing lieber Romane oder macht Kunst. Und hin und wieder eben ein Album wie Long Time Traveller. Eine Sammlung unglaublic­h schöner Musik. Keine schlechte Nummer. Reines Ohrengold.

 ??  ?? Man denkt nicht an Dub, wenn man Jeb Loy Nichols so sieht. Man sollte aber. Und sich sein Album „Long Time Traveller“anhören.
Man denkt nicht an Dub, wenn man Jeb Loy Nichols so sieht. Man sollte aber. Und sich sein Album „Long Time Traveller“anhören.

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