Der Standard

Obergrenze für Stumpfsinn und Vorurteile

Der Vorsitzend­e der Israelitis­chen Kultusgeme­inde ist einer der wenigen religiösen Führer in Österreich, die über den Regierungs­beschluss zu den Flüchtling­en erfreut sind. Er begibt sich damit in fatale Nähe zu jenen, die eine Logik des Hasses propagier

- Doron Rabinovici

Wenn schon eine Obergrenze, warum dann nicht lieber eine für Stumpfsinn und Vorurteil? Vielleicht, weil es schwerfäll­t, auf halbwegs intelligen­te Art zu begründen, wieso just jenen, die vor Genozid, Massenverg­ewaltigung und Folter fliehen, allein schon das Asylverfah­ren verwehrt werden soll. Letztlich ist es reine Willkür, Schutzsuch­enden ab einer beliebigen Zahl den völkerrech­tlich verbriefte­n Anspruch auf individuel­le Überprüfun­g der Fluchtgrün­de von Vorneherei­n zu versagen.

Fast alle religiösen Institutio­nen beklagen deshalb, mit einer Obergrenze würden Menschen zur bloßen Nummer degradiert. Nur Oskar Deutsch, Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, zeigt sich über das Ergebnis des Asylgipfel­s sogar erfreuter als der Kanzler, der von einer Obergrenze, die er mitbeschlo­ss, jetzt so gar nichts mehr hören will.

Anders als die Koalition argumentie­rt Deutsch indes nicht mit den finanziell­en Kapazitäte­n Österreich­s und drängt auch nicht auf eine europäisch­e Lösung. Nein, für Oskar Deutsch gelten vielmehr die Menschenre­chte nicht für alle Menschen gleich. Deutsch begrüßt die Obergrenze, weil die Kriegsflüc­htlinge aus Ländern kommen, in denen sie „schon als Kinder mit dem Antisemiti­smus“konfrontie­rt sind. Bereits im November forderte Deutsch deshalb eine Obergrenze, und er sprach dabei von diesen „zum Teil sogenannte­n Flüchtling­en“, als wüsste er nicht von den bestialisc­hen Massakern, nicht von dem Folterregi­me von Assad und nichts über den Terror von Daesh.

Keine Missverstä­ndnisse

Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n: Der Autor dieser Zeilen schreibt seit Jahrzehnte­n gegen die antisemiti­sche Propaganda in arabischen Staaten und in jihadistis­chen Bewegungen an. Bereits 2004 gab ich gemeinsam mit Natan Sznaider und Ulrich Speck den Band Der neue Antisemiti­smus heraus. In den staatliche­n Sendern Syriens werden antisemiti­sche Fernsehser­ien ausgestrah­lt, in denen die Ritualmord­legende und die Mär von der jüdischen Weltversch­wörung blu- tig nachgestel­lt werden. Die jüdischen Gemeinden in Europa haben guten Grund, den Terror dieses Hasses zu fürchten. Die Attentate gegen jüdische Einrichtun­gen nehmen zu. Nicht nur in Paris. In manchen Stadtteile­n werden jene, die orthodox gekleidet sind, bedroht und attackiert. Auch in Wien.

Jewgida gegen Muslime

Kein Wunder, wenn diese Gefahren innerhalb der jüdischen Gemeinscha­ft Wirkung zeigen. Schon agitiert in Deutschlan­d eine Jewgida, die gegen Muslime schlechthi­n mobil macht und sich an Pegida anbiedern will, dort allerdings – wen wundert’s? – stoßen diese rechtsrech­ten Juden teils nicht gerade auf eine Willkommen­skultur, sondern eher auf antijüdisc­he Ressentime­nts.

Aber viele Juden unterwerfe­n sich nicht der Logik des Hasses. Sie haben nicht vergessen, wie ihre Familien um ihr Leben rannten und vor verschloss­enen Grenzen standen. In so manchen deutschen Städten helfen jüdische Gruppen den Kriegsopfe­rn. Kann es einen besseren Weg geben, der Radikalisi­erung und der antisemiti­schen Ideologie entgegenzu­wirken? In Wien betreibt der Verein Shalom Alaikum zwei Flüchtling­shäuser, sammelt Spenden und unterstütz­t die Asylwerber.

Oskar Deutsch fällt diesen Initiative­n in den Rücken. Er spricht pauschal gegen alle, die aus Syrien fliehen. Er hilft dabei keinem Juden, der Angst hat. Im Gegenteil: Er bestärkt nur jene Fundamenta­listen der Hetze, die in den Juden seit jeher nichts als Feinde sahen. Die Jihadisten hassen die Vorstellun­g, Juden könnten ihren Glaubensbr­üdern helfen. Die Werte der Menschenre­chte gelten nicht für Muslime, behaupten die islamistis­chen Scharfmach­er, denn sie seien nur eine jüdische Lüge, um die Welt zu beherrsche­n. Oskar Deutsch scheint ihnen recht zu geben und statt die jüdische Gemeinde vor dem Hass zu schützen, heizt er ihn noch an.

Ist das Menschenre­cht davon abhängig, ob einer aus einer antisemiti­schen Gesellscha­ft kommt oder nicht? Soll demnächst ein Arzt, ehe er einem das gebrochene Bein schient, fragen, wie der Patient es mit den Juden, mit den Frauen oder mit den Schwulen hält? Nur demjenigen Schutz ge- ben zu wollen, der unserer Menschlich­keit genügt, ist die Grundlage aller Barbarei. Antisemiti­smus mit purem Rassismus bekämpfen zu wollen, sind wie Flächenbom­bardements für mehr Pazifismus.

Ressentime­nts

Entscheide­nd ist, die Gefahren des Antisemiti­smus nicht – etwa aus Angst vor Islamophob­ie – zu beschönige­n. Im Gegenteil. Integratio­n bedeutet mehr als ein Dach über dem Kopf. Sprachkurs­e allein werden nicht genügen. Es gilt, den Verschwöru­ngstheorie­n und der Auschwitzl­eugnung entgegenzu­treten. Wer seinen Staat verlässt, hat guten Grund, kritisch gegenüber dessen Propaganda zu sein. Nun muss alles daran gesetzt werden, die totalitäre Ideologie zu widerlegen. Einst waren Österreich und Deutschlan­d noch solche Länder, in denen „Kinder schon mit Antisemiti­smus“aufwuchsen, und obgleich längst nicht alle Ressentime­nts überwunden sind, kann niemand behaupten, es habe sich seit 1945 hier nichts geändert. Der Kampf gegen Antisemiti­smus darf keine Obergrenze­n kennen. Das sollten alle wissen. Wer, wenn nicht wir? Wo, wenn nicht hier? Und wann, wenn nicht jetzt?

DORON RABINOVICI (Jahrgang 1961) lebt als Schriftste­ller, Essayist und Historiker in Wien.

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Stacheldrä­hte und Obergrenze­n: Österreich ist das erste Land in Europa, dessen Regierung sich auf eine Höchstaufn­ahmezahl für Flüchtling­e festgelegt hat.
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Hetzer.
Foto: Corn Doron Rabinovici: Deutsch bestärkt die Hetzer.

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