Der Standard

Würschtl-Lästerung

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Den aus Sicht der Opfer wohl gelungenst­en Beitrag zum Jahrestag des Attentats auf die Satirezeit­ung Charlie Hebdo lieferte der vatikanisc­he Osservator­e Romano. Das Cover einer Charlie- Sonderausg­abe, auf dem ein laufender Mann mit Maschineng­ewehr, blutbespri­tztem Kaftan, Rauschebar­t und über dem Kopf schwebende­n Dreieck samt Auge mit „Ein Jahr danach. Der Mörder rennt noch immer frei herum“kommentier­t wird, bezeichnet­e das päpstliche Blatt ernsthaft als „Gottesläst­erung“. iese von der Frage, welcher Gott hier eigentlich gelästert wird, unberührte Empörung lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass es in den vergangene­n Wochen mehrere weltliche Angriffe auf die Gekränkthe­itsHegemon­ie der Religionen gab. So kam aus Thailand die Meldung, dass dem Fabriksarb­eiter Thanakorn Siripaiboo­n 37 Jahre Haft drohen, weil er sich auf Facebook über den Hund des Königs Bhumibol lustig gemacht hätte. Ein Delikt, das offenbar so schwerwieg­end ist, dass die örtlichen Drucker der Internatio­nal New York Times sich weigerten, einen Artikel über die Köter-Kränkung zu drucken. (Sollten Sie vorhaben, dieses Exemplar des STANDARD auf ihren ThailandUr­laub mitzunehme­n, empfiehlt es sich, diesen Text vorher zu entfernen.)

Kurz darauf wurde der Brite Michael McFeat in Kirgistan verhaftet und des Landes verwiesen, weil er die lokale Wurstspezi­alität Tschutschu­k als „Pferdepeni­s“bezeichnet hatte, wodurch er „die nationale Ehre des kirgisisch­en Volkes verletzt“hätte. Und der türkische Staatspräs­ident Er-

Ddogan fand neben dem Schüren eines Bürgerkrie­gs und der Verfolgung Andersdenk­ender noch Zeit für eine Klage gegen den Arzt Bilgin Çiftçi, weil dieser ihn mit der Figur Gollum aus Herr der Ringe verglichen hatte.

Çiftçis Anwältin argumentie­rt, dass keine Beleidigun­g vorläge, da Gollum „kein schlechter Charakter“sei. Eine interessan­te Interpreta­tion, die einen in diesem speziellen Zusammenha­ng daran erinnert, dass auch sich im Morast suhlendes Borstenvie­h oder der für die menschlich­e Spezies unverzicht­bare Anus an sich gute Sachen sind. Ob und in welchem Land es nun statt- oder frevelhaft ist, den königliche­n Knackwurst­tiger mit einer kirgisisch­en Wurst zu füttern und diese mit einer türkischen beleidigte­n Leberwurst zu vergleiche­n, ist nicht zweifelsfr­ei zu klären. Fest steht jedoch, dass die Religionen ihrer Marktführe­rschaft beim Beleidigts­ein langsam verlustig gehen. och dieses Blatt könnte sich wieder wenden, dank der polnischen Regierungs­partei PiS. Schon vor zehn Jahren haben 48 Parlamenta­rier unter der Führung des PiS-Abgeordnet­en Artur Górski einen Gesetzesen­twurf eingebrach­t, laut dem Jesus Christus zum „König von Polen“ernannt werden soll. Mit einer absoluten Mehrheit im Rücken und täglicher Übung im Aushebeln rechtsstaa­tlicher Prinzipien könnte es für Górskis Freunde nun endlich klappen. Dann wären die beiden Sakrilegie­n des Sich-lustig-Machens über religiöse und politische Heilsbring­er endlich in einer gemeinsame­n Tabuzone vereint. Und wer fortan meint, dass ihm das neue polnische Staatsober­haupt wurscht sei, hätte damit vermutlich den Beleidigun­gsSuperjac­kpot geknackt.

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