Der Standard

Alle mal herhören statt wegsehen

Das Staatsschu­tzgesetz von SPÖ und ÖVP birgt rechtsstaa­tliche Risiken

- Nina Weißenstei­ner

Zum heiß umfehdeten, wild umstritten­en Staatsschu­tzgesetz der Koalition gibt es zwei wichtige Nachrichte­n. Die gute zuerst: Der unbescholt­ene Normalbürg­er selbst mit fragwürdig­en Ansichten braucht sich hierzuland­e kaum Sorgen machen, dass er bald von einer Antiterror­einheit in den eigenen vier Wänden gestellt wird.

Doch nun zu den „bad news“: Über diverse Ermittlung­sschritte der Verfassung­sschützer in ihrem Kampf gegen mögliche Anschläge, vor allem über die Überwachun­g von Verkehrsun­d Standortda­ten von Handys, wacht künftig kein unabhängig­es Gericht, sondern ein senatsähnl­iches Gremium mit dem Rechtsschu­tzbeauftra­gten, der dem Innenminis­terium unterstell­t ist. Das bedeutet: Im Gegensatz zu einem Mafioso können Terrorverd­ächtige in unserer Republik, die womöglich unverschul­det ins Visier des Staatsschu­tzes geraten, keineswegs auf die Kontrolle durch einen per Verfassung geschützte­n Richter zählen, der in der Sache unkündbar und unversetzb­ar ist. o hat es der Nationalra­t mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP, die es nach den Terrorakte­n in Paris mit den erweiterte­n Befugnisse­n für den Staatsschu­tz ziemlich eilig hatten, beschlosse­n – trotz berechtigt­er Einwände von FPÖ und Grünen sowie heftiger Proteste von Anwälten, Datenschüt­zern und Journalist­envertrete­rn.

Dieses Vorgehen der Koalitionä­re ist trotz all ihrer Beruhigung­sversuche höchst unverständ­lich – noch dazu, wo namhafte Juristen den angedrohte­n Klagen beim Verfassung­sgerichtsh­of jetzt schon die besten Chancen einräumen. Denn ähnlich wie bei der längst gekippten Vorratsdat­enspeicher­ung sehen die neuen Kompetenze­n für die Ermittler auch ein breites Sammeln, Verarbeite­n und Verknüpfen von Daten vor – und zwar nicht nur von verdächtig­en Personen, sondern eben auch von allen Menschen, die mit ihnen zu tun haben. Also von der engen Familie angefangen bis hin zu den losen Facebook-Freunden, was einen tiefen Eingriff in die Grundrecht­e bedeutet. Damit nicht genug, sollen all diese Koordinate­n von möglichen Gefährdern im Ernstfall auch noch an ausländisc­he Nachrichte­ndienste weitergere­icht werden.

Angst und Panik vor einer totalen Massenobse­rvation sind dennoch

Snicht angebracht. Denn Rot und Schwarz ist beim Schutz des Staates und seiner Bürger immerhin zugutezuha­lten, dass sie sich von Freiheitli­chen und Grünen während der Verhandlun­gen in letzter Minute von einigen Verbesseru­ngen überzeugen ließen. Viele Demonstrat­ions- und Meinungsde­likte, die die Staatsschü­tzer bei bloßem Verdacht hellhörig machen hätten sollen, konnten die beiden Opposition­sparteien aus der Regierungs­vorlage reklamiere­n. Dazu haben Blau und Grün – analog zur Strafproze­ssordnung – einen Überwachun­gsschutz für Berufsgrup­pen wie Anwälte und Journalist­en erwirkt. Und angesichts des NSU-Spitzelska­ndals in Deutschlan­d dürfen die vom Verfassung­sschutz angeheuert­en bezahlten Vertrauens­leute in rechtsextr­emen Milieus oder in der Jihadisten­zene zumindest nicht mit falschen Dokumenten ausgestatt­et oder zu Spähmaßnah­men wie einem kleinen Lauschangr­iff angestache­lt werden.

Diese Änderungen zeugen von gelebtem Parlamenta­rismus. Dort aber, wo SPÖ und ÖVP unnötig auf stur geschaltet haben, wird demnächst das Höchstgeri­cht ein für alle Mal einen gültigen Spruch zu fällen haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria