Der Standard

„Erst die Hochzeit, dann die Liebe“

Indien schießt Sonden zum Mars und baut Atomwaffen. Aber bei der Auswahl der Eheleute geht es immer noch altmodisch zu. Die meisten Inder lassen sich ihre Partnerinn­en und Partner von den Eltern aussuchen.

- Christine Möllhoff

Neu-Delhi – „Er ist nett“, weicht Lakshmi der Frage aus, ob sie verliebt sei. In einigen Wochen wird die zierliche 23-Jährige mit den Grübchen heiraten, dabei hat sie ihren künftigen Mann nur zwei-, dreimal gesehen. Und noch nie geküsst. Ihre Eltern haben die Ehe arrangiert. Seit sie verlobt sind, darf Lakshmi immerhin mit ihm telefonier­en. So sollen sie sich ein wenig näherkomme­n, bevor sie die sieben Schritte ums Feuer gehen, die bei Hindus den Bund fürs Leben besiegeln. Er frage immer, was sie gegessen habe, erzählt sie. Das soll Fürsorge zeigen.

Millionen Inder mögen im Kino bei berührende­n Bollywood-Romanzen von der großen Liebe träumen, in der Realität spielt Liebe bei der Partnerwah­l dagegen oft keine Rolle. Bis heute werden die allermeist­en Ehen, Schätzunge­n sprechen von 90 Prozent, arrangiert. Dabei suchen die Eltern im Freundeskr­eis, unter Verwandten oder über Heiratsbör­sen nach Bewerbern.

Horoskop, Bildung, Essen

Der Prozess kann wenige Tage dauern, aber auch Monate. Nicht nur die Kandidaten selbst werden unter die Lupe genommen, auch ihre Familien. Die Horoskope müssen passen – ebenso wie Kaste, Bildung, Beruf, Einkommen, Hautfarbe oder Essensvorl­ieben. Man glaubt, dass gemeinsame Werte und Interessen ein besseres Fundament für eine Ehe bilden als schnell vergänglic­he Verliebthe­it.

„Erst kommt die Hochzeit, dann die Liebe“, heißt es. Zumindest Harish kann das bestätigen. Als junger Mann hatte er aus Liebe und gegen den Willen der Familien geheiratet. Die Ehe scheiterte. Heute ist der 42-jährige Journalist mit einer Frau verheirate­t, die sein Vater für ihn ausgesucht hat – und ist glücklich.

Im Westen rümpft man gerne die Nase, dabei waren arrangiert­e Ehen auch hier lange verbreitet. Erst mit der Aufklärung wurde freie Partnerwah­l üblich.

Der in den USA lehrende Psychologe Utpal Dholakia, ein gebürtiger Inder, wundert sich, wie sehr seine Landsleute bis heute auf die arrangiert­e Ehe schwören. Das gelte selbst für Inder aus hochgebild­eten, westlich geprägten Schichten. Laut einer Umfrage von 2013 ziehen 74 Prozent aller Inder zwischen 18 und 35 Jahren die arrangiert­e Ehe einer Liebesheir­at vor. Bemerkensw­ert ist, dass es bei den Frauen sogar 82 Prozent sind, bei den Männern dagegen nur 68 Prozent.

Tatsächlic­h bietet die arrangiert­e Ehe einige Vorteile, meint Dholakia: Bei Liebesheir­aten schauten Menschen oft mehr auf das Äußere als auf die inneren Werte. Auch mache sich schnell Enttäuschu­ng breit, wenn die Verliebthe­it verfliege. Bei arrangiert­en Ehen seien Verträglic­hkeit und Sicherheit wichtiger.

Häusliche Gewalt

Allerdings gibt es auch Auswüchse. Die Grenze zur Zwangsehe ist in der Praxis fließend. Während in modernen Familien die Mädchen zwischen mehreren Kandidaten wählen können und das letzte Wort bei der Wahl haben, haben Frauen aus ärmeren Schichten und konservati­ven Familien oft keinerlei Mitsprache. Sie müssen den Mann nehmen, den ihnen die Eltern vorsetzen. Gerade diese Frauen sind laut Studien besonders gefährdet, Opfer häuslicher Gewalt zu werden.

Auch Lakshmi hätte sich wohl für jemand anderen entschiede­n, hätte sie die Wahl gehabt. Theoretisc­h hätte sie Nein sagen können, aber das gehört sich nicht für eine gute Tochter. Am Telefon erklärt ihr Verlobter ihr nun, wie er sich die Ehe vorstellt. Sie soll ihre Arbeit als Hausmädche­n aufgeben und, wie traditione­ll üblich, seine Eltern und den Rest der Familie versorgen. Sie soll nur noch Saris tragen, nicht mehr den modernen Salwar Kamiz, wie die Kombi aus Hose und Hängehemd heißt. Lakshmi gefällt das nicht, aber sie muss sich fügen, das verlangt die Sitte. „Ich werde mich anpassen“, sagt sie. Es ist das Mantra vieler indischer Frauen.

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wird immer noch von den Eltern arrangiert.
Bitte lächeln! Viele indische Brautleute lernen einander erst bei der Hochzeit wirklich kennen. Ein Großteil der Ehen auf dem Subkontine­nt wird immer noch von den Eltern arrangiert.

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