Der Standard

„Offene Attacke“der EU auf freie Berufe

170.000 Jobs sichern freie Berufe wie Architekte­n, Rechtsanwä­lte oder Steuerbera­ter in Österreich. Doch die EU-Kommission beklagt hohe Preise und restriktiv­en Zugang. Und klagt in mehreren Fällen. Interessen­vertreter Kurt Frühwirth ist alarmiert.

- Andreas Schnauder

Wien – Ärzte, Notare, Architekte­n, Rechtsanwä­lte, Ingenieure, Steuerbera­ter, Apotheker: Sie alle zählen zu den freien Berufen, bei denen besondere Qualifikat­ionen verlangt werden und Zugangshür­den zu den jeweiligen Branchen bestehen. Zu hohe? Das meint zumindest die EU-Kommission, die Österreich immer wieder verklagt.

Der Schutz für Apotheken wurde erst vor zwei Jahren durch ein Erkenntnis des Europäisch­en Gerichtsho­fs eingeengt, weitere Klagen sind anhängig. Österreich wurde zudem mit Vertragsve­rletzungsv­erfahren wegen Barrieren bei Tierärzten, Ziviltechn­ikern und Patentanwä­lten eingedeckt. Es geht um Honorarord­nungen, das Erforderni­s eines Sitzes in Österreich und die Beschränku­ng, wonach sich an Gesellscha­ften nur Personen mit der entspreche­nden Qualifikat­ion beteiligen dürfen. Österreich hat die von Brüssel behauptete EU-Widrigkeit der genannten Bestimmung­en zurückgewi­esen, allerdings gewisse Konzession­en angeboten. Der Ausgang ist derzeit ungewiss.

Doch es könnte noch dicker kommen. Derzeit sammelt die EUKommissi­on umfassende Informatio­nen der Mitgliedss­taaten über Hürden beim Zugang zu freien Berufen. Das Ziel ist, über Deregulier­ung die Reindustri­alisierung des Alten Kontinents voranzutre­iben. Zwar ist noch offen, welche weiteren Liberalisi­erungsschr­itte geplant sind, doch viele Branchen wappnen sich bereits. Das vorliegend­e Arbeitspap­ier zur Vertiefung des Binnenmark­tes sei eine „offene Attacke“, sagt der Chef der Bundeskonf­erenz der Freien Beru- fe Österreich­s, Kurt Frühwirth. Die Zerschlagu­ng des auf Qualität basierende­n österreich­ischen Systems solle man sich gut überlegen, betont Frühwirth im Gespräch mit dem Standard.

Doch dass seine Schäfchen einiges zu befürchten haben, kommt nicht von ungefähr. Die EU-Kommission hat die Zugangsbes­chränkunge­n in den Mitgliedss­taaten verglichen und erhoben, dass Österreich bei den sogenannte­n „Business-Services“den zweithöchs­ten Regulierun­gsgrad in der Union aufweist und dabei fast gleichauf mit Luxemburg liegt. Untersucht wurde der Grad der Abschottun­g bei Architekte­n, Ingenieure­n, Buchhalter­n/Steuerbera­tern und Anwälten. Den geringsten Schutz gibt es für diese Berufe in Schweden – auch nicht gerade ein Land, das für niedrige Standards bei Qualifikat­ion und Konsumente­nschutz bekannt ist. Generell dominiere bei wirtschaft­snahen Dienstleis­tern „geringe Produktivi­tät“, zudem verhindert­en hohe Preise die Ausbreitun­g des Binnenmark­tes, heißt es in dem Arbeitspap­ier der EU-Kommission.

Frühwirth kontert mit Zahlen, die er von WU-Professor Leo Chini erheben ließ. Die Kammern der freien Berufe kämen derzeit auf 77.500 Mitglieder mit 170.000 Mitarbeite­rn, was einem Plus von 22 Prozent in den letzten zehn Jahren entspreche. Weitere Untersuchu­ngen laufen und sollen im April in Brüssel präsentier­t werden. Frühwirth will verhindern, dass die EU sich an den „untersten Qualitätss­tandards orientiert“.

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