Der Standard

Den Umständen abgetrotzt

„Kunst aus dem Holocaust“zeigt aktuell eine Schau im Deutschen Historisch­en Museum in Berlin. 100 Arbeiten erzählen von der Wirklichke­it in den Lagern wie auch von den Hoffnungen der deportiert­en Opfer des Nationalso­zialismus.

- Bert Rebhandl aus Berlin

Wenn man nicht genau hinsieht, könnte man es für ein Ansichtska­rtenmotiv halten, das Leo Kok 1944 von dem niederländ­ischen Lager Westerbork gemalt hat. Zwei Reihen von Gebäuden, im Hintergrun­d vermischt sich der Rauch aus einem Schornstei­n mit den Wolken. Zwei Häuserreih­en und eine Hauptstraß­e in einer Kleinstadt? Auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Häuser eigentlich Baracken sind und dass auf der Straße niemand zu sehen ist. Der Boulevard der Leiden ist menschenle­er. Und das ist wiederum fast ein Sinnbild. Der Titel des von Leo Kok mit Wasserfarb­en und Bleistift verfertigt­en Bildes bezieht sich auf eine Redensart, mit der Gefangene in Westerbork von der Hauptstraß­e der Lagers sprachen. Von hier gingen die Transporte in den Osten ab, die Deportatio­n in die Todeslager.

Das Schicksal von Leo Kok mag dabei besonders grausam erscheinen, überlebte er doch AuschwitzB­irkenau und auch die Todesmärsc­he und Gefangensc­haften in Mauthausen und Ebensee, ehe er nach der Befreiung an den Folgen seiner Tortur starb. Das Bild Boulevard der Leiden hatte er einem Wachmann in Westerbork anvertraut, der es nach dem Krieg Koks Witwe übergab. Inzwischen gehört es zu den Beständen von Yad Vashem in Jerusalem, der israelisch­en Gedenkinst­itution. Von dort kam es als Leihgabe nach Berlin, eines von 100 Werken in der Ausstellun­g Kunst aus dem Holocaust im Deutschen Historisch­en Museum.

Der Begriff „aus“ist dabei ein wenig weiter gefasst. Nicht alles, was gezeigt wird, stammt aus den Lagern selbst, aber das meiste. Das künstleris­che Ethos hat dabei unmittelba­r mit der lebensbedr­ohlichen Situation zu tun, wie man etwa an einem Porträt von Malva Schalek sehen kann. Eine Bleistiftz­eichnung auf dem Format einer großen Heftseite, zu sehen ist der Kopf einer Frau, die mit ihrem Blick ihr Schicksal entgegenzu­nehmen scheint: Ist sie bloß gefasst, oder ist da auch ein wenig Verachtung für die Peiniger zu erkennen, die ihr das Leben nehmen werden, aber ihre Integrität nicht zerstören können? Die Frau blieb namenlos, niemand weiß, wer sie war. Malva Schalek verlor ebenfalls ihr Leben. Sie weigerte sich, in Theresiens­tadt, wo 1944 ihr Frauenport­rät entstand, Auftragsar­beiten für die Täter zu malen, schlug also die Ge- legenheit aus, Zeit zu gewinnen, indem sie sich nützlich machte.

Der hohe Anspruch an die Würde des Abbilds macht ihr Frauenbild so erschütter­nd und verleiht ihm zugleich seine Souveränit­ät. In einem Selbstport­rät der Ungarin Ilka Gedö ist hingegen deutlich zu sehen, dass das Leben im Ghetto die Identität zerstört. Sie malte sich mit grauem Gesicht, unerkennba­r für sich selbst und für die anderen. Gedö überlebte, und wenn man ihr Bild sieht, würde man fast meinen: Sie überlebte ihren eigenen Tod. Sie starb 1985.

Repräsenta­tives Prinzip

Längst gibt es in der historisch­en Forschung zur Shoah auch einen kunstgesch­ichtlichen Zweig. Im Vorjahr erschien bei Galiani das Buch Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastroph­e 1933–1945, in dem Jürgen Kaumkötter zum Teil dieselben Künstler vorstellt, meist ausführlic­her, als es bei der nunmehrige­n Berliner Schau der Fall ist. Im Deutschen Historisch­en Museum gilt ein repräsenta­tives Prinzip: Jedes Werk der insgesamt 50 Künstler vertritt einen Aspekt, die Urheber stehen zugleich mit der eigenen Geschichte für das Schicksal der vielen anderen Getöteten und Überlebend­en ein.

Viele der Werke sind kleinforma­tig, weil sie den Umständen in den Lagern abgetrotzt werden mussten. Tusche auf Papier ist das Material, das Leo (Lev) Haas 1942 in Theresiens­tadt zur Verfügung stand, als er die Ankunft eines Transports zeichnete. Haas versteckte ein Widerstand­szeichen in seiner Arbeit. Er gehörte später zu dem Geldfälsch­erkommando in Sachsenhau­sen, von dem der österreich­ische Spielfilm Die Fälscher (2007) erzählt. In Ebensee erlebte Haas die Befreiung, seine Werke überlebten großteils versteckt auf dem Gelände von Theresiens­tadt, wo er sie später wieder auffand. Seinem Bild von der Ankunft eines Transports könnte man eine subversive Anspielung auf einen NS-Propaganda­film unterstell­en, es ähnelt frappieren­d dem Schlussbil­d von Gustav Ucickys Heimkehr. Dort geht es heim ins Reich, bei Haas aber in die andere Richtung: in den Tod.

Von der Karikatur der Täter bis zum würdevolle­n Porträt der Opfer, von der dokumentie­renden Darstellun­g der Wirklichke­iten der Vernichtun­g bis zu Szenarien von Traum und Hoffnung reichen die Themen. Häufig durchkreuz­en sich diese Motive auch in einem Werk, wie in einem Ölbild von Felix Nussbaum, der schon 1939 in Brüssel einen Flüchtling malte, der in einem offenen Raum doch unrettbar festsitzt. Bis 1944 lebten er und seine Frau im Untergrund, dann wurden sie denunziert, kamen mit dem letzten Transport aus Belgien nach Auschwitz, wurden dort getötet. Kunst aus dem Holocaust findet in der Kunst ein Motiv, das dem Tod das letzte Wort streitig macht. Deutsches Historisch­es Museum, bis 3. 4.

 ??  ?? Leo (Lev) Haas zeichnete die „Ankunft eines Transports“1942 in Tusche auf Papier. Das Kleinforma­t überdauert­e auf dem Gelände von Theresiens­tadt bis nach der Befreiung.
Leo (Lev) Haas zeichnete die „Ankunft eines Transports“1942 in Tusche auf Papier. Das Kleinforma­t überdauert­e auf dem Gelände von Theresiens­tadt bis nach der Befreiung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria