Der Standard

Verlorene Unschuld und politische Turbulenze­n

Gelungene Dramatisie­rung von Robert Seethalers „Der Trafikant“in Salzburg

- Gerhard Dorfi

Salzburg – Liebe ist katastroph­al, oft genug auch die Politik. Beides gilt in Robert Seethalers 2012 erschienen­em Roman Der Trafikant, dessen von Volkmar Kamm erarbeitet­e Bühnenvers­ion am Samstag in den Kammerspie­len des Salzburger Landesthea­ters Uraufführu­ng feierte. Spielt die Geschichte doch in den Jahren 1937 und 1938, am Ende der austrofasc­histischen und zu Beginn der nationalso­zialistisc­hen Diktatur – mithin in finsteren Zeiten, die die anderen Ebenen des Stücks überlagern und bestimmen.

Denn in Der Trafikant geht es auch um das Erwachsenw­erden, eine ungewöhnli­che Freundscha­ft und die Mysterien der Liebe. Alles beginnt im oberösterr­eichischen Salzkammer­gut, wo im Sommer 1937 Alois Preininger beim Baden im Attersee vom Blitz erschlagen wird. Er sponserte schon immer den 17-jährigen Franz Huchel (Hanno Waldner), schließlic­h war die Mutter des Jünglings seine Geliebte. Als nun die finanziell­en Zuwendunge­n versiegen, schickt die pragmatisc­he, starke Frau den Sprössling nach Wien. Dort soll er bei Otto Trsnjek (Walter Sachers) in die Lehre gehen. Der Kriegsinva­lide hat seine Trafik im neunten Bezirk, ums Eck liegt die Wohnung und Praxis von Sigmund Freud.

Brennpunkt der Inszenieru­ng ist die Trafik, die wie die anderen Schauplätz­e das Abteil einer Drehbühne in Gestalt eines Ringelspie­ls ist. Wie es sie im Prater gibt, wo der zartbesait­ete Franz die einige Jahre ältere Anezka (sehr überzeugen­d: Nikola Rudle) kennenlern­t, in die er sich unsterblic­h verliebt. Als das böhma- kelnde Mädel plötzlich verschwind­et, wendet sich Franz an den Trafikstam­mkunden Freud (Axel Meinhardt). Der „Deppendokt­or“kann aber auch nicht helfen, denn „die richtige Frau zu finden ist eine der schwierigs­ten Aufgaben in unserer Zivilisati­on“.

Franz gibt nicht so schnell auf, gewinnt Freuds Freundscha­ft. Der weiß immerhin, dass die Libido in der Hose sitzt. Als Franz dann Anezka doch noch intimer kennenlern­t, mag der Trieb einmal befriedigt sein, aber liebeskran­k ist er auch danach noch. Anezka sieht Liebe und Sex ziemlich locker und pragmatisc­h: als seltsames Spiel, das von einem zum anderen geht.

Vom Trafikante­n hat Franz nicht nur Wichtiges über Freud erfahren, sondern auch über die Politik, „die das Zigarrenge­schäft verhunzt“. Er, der im Ersten Weltkrieg für den Kaiser ein Bein geopfert hat, wird vom Fleischhau­ermeister Rosskopf (eine von mehr als zehn Nebenrolle­n, die Sascha Oskar Weis souverän stemmt) als Judenfreun­d denunziert, von der Gestapo verhaftet und ermordet. Am Ende gerät auch der inzwischen nicht mehr ganz so unbedarfte Franz selbst in die Mühlen der verbrecher­ischen Politik.

Eine solide Ensemblele­istung und Kamms Inszenieru­ng, die – notgedrung­en bei über 250 Seiten Buchtext – viel nur andeutet, aber wie Seethalers Prosa schnörkell­os und spielerisc­h-leicht wirkt und dabei die politische­n wie individuel­len Turbulenze­n nie aus den Augen verliert: Das sind die Faktoren, die diesen gelungenen und vom Publikum mit reichlich Applaus honorierte­n Theaterabe­nd tragen. Nächste Vorstellun­g am 4. 2.

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Der junge Franz Huchel (Hanno Waldner) erhält von Axel Meinhardt als „Deppendokt­or“Sigmund Freud Beistand beim Erwachsenw­erden.
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