Der Standard

Politik der populistis­chen Placebos

Ob „Asyl auf Zeit“, Richtwert oder Obergrenze: Wer glaubt, auch nur einer dieser Vorschläge ließe sich in der Realität der Flüchtling­sbewegung durchsetze­n, glaubt auch an den Osterhasen. Es braucht eine europäisch­e Lösung – und europäisch­en Grenzschut­z.

- Franz Schnabl

Asyl auf Zeit, Obergrenze oder Richtwert und dann gleich auch das strengste Asylrecht Europas. So oder ähnlich tönen alle Parteien im Jahr 2016 und insbesonde­re nach den Ereignisse­n in der Silvestern­acht in Köln und anderen deutschen und österreich­ischen Städten.

Es ist schon gar nicht mehr festzustel­len, von welcher Partei jeweils sogenannte „Verschärfu­ngen“gefordert werden, befinden sich doch alle Parteien – insbesonde­re die sogenannte­n christlich­en – in einem Wettlauf mit national-rechten Asylskepti­kern.

Beim österreich­ischen Asylgipfel und bei der jüngsten Debatte um die Verschärfu­ng des Asylrechte­s war das besonders sichtbar. Wenn auch Richtiges gesagt wurde, so bleiben doch Tatsachen und Fakten bestehen, die nicht ausgeblend­et werden können. Das Gipfelerge­bnis ist daher in vielen Bereichen eher ein Wunschzett­el ans Christkind denn eine Lösungshil­fe. Schauen wir uns doch um: Weder den Krieg in Syrien noch andere – eher sich verschärfe­nde – innerstaat­liche Krisen und Konflikte, wie in Afghanista­n, im Sudan, in Libyen, Nigeria, der Ukraine etc., können wir direkt beeinfluss­en oder gar beenden. Auch die gesamte EU (würde sie an einem Strang ziehen) könnte das nicht. Dazu kommen noch viele anderen Faktoren wie Klimawande­l, Überbevölk­erung, Stammes- und Familienko­nflikte, religiöse Verfolgung, lokale Kriminalit­ät. Die möglichen Gründe allein würden diese Seite füllen.

Wenn jetzt auch die sogenannte „Balkanrout­e“im Fokus politische­r und medialer Diskussion­en steht, sollten weder die Mittel- meerroute noch die iberische Route vergessen werden. Diese sind auch nicht versiegt, sondern nach wie vor existent. Und sie werden – wie möglicherw­eise andere, neue Wege nach Europa – auch existent bleiben.

Nur ein Bruchteil der Menschen in den europäisch­en Peripherie­Regionen, die derzeit auf der Flucht sind, kommt nach Europa, um hier Schutz oder Aufnahme zu finden. Das UNHCR rechnet nach wie vor mit deutlich mehr als einer Million Menschen pro Jahr, die auf welcher Route auch immer nach Europa kommen wollen oder werden. Stellen wir uns bitte bildlich vor, dass als „europäisch­e Lösung“diese Menschen in Zeltstädte­n, zu 100.000 oder mehr zusammenge­pfercht, in den „Hotspots“ihr Asylverfah­ren abwarten müssen, um dann erst recht nicht von Staaten wie Ungarn, Polen oder der Slowakei aufgenomme­n zu werden. Oder noch schlimmer, im Falle der Ablehnung ihres Antrages, von Staaten wie Marokko nicht zurückgeno­mmen zu werden.

Jemand, der ernsthaft glaubt, dass all diese Themen vertraglic­h auf EU-Ebene bis – sagen wir – Ende April gelöst seien, kann genauso gut an den Osterhasen glauben oder eben an die „Obergrenze“der österreich­ischen Bundesregi­erung.

Aufwertung von Frontex

Es ist richtig: Eine dauerhafte Regelung ist nur gesamteuro­päisch möglich. „Hotspots“sind aber nur dann Teil der Lösung, wenn alle EU-Mitgliedst­aaten einer solidarisc­hen Lastenvert­eilung zustimmen. Darüber hinaus muss Frontex zu einer Art „Bundesgren­zschutz der EU“ausgebaut und die Überwachun­g der Schengen-Grenzen und die Asylverfah­ren etc. der EU direkt übertragen werden. Die konsequent­e Rückführun­g abgelehnte­r Asylwerber wäre dann ebenfalls auf Basis diesbezügl­icher Verträge erforderli­ch, wobei entspreche­nder Druck auf die Herkunftsl­änder jetzt schon auszuüben ist (wo bleibt eigentlich der bei Kindergärt­en so eloquente Außenminis­ter in dieser Frage?).

Für alle aber mit Bleibepers­pek- tive ist eine schnelle und konsequent­e Integratio­n in Ausbildung, Arbeit und Zusammenle­ben ab dem ersten Tag erforderli­ch. Das wäre dann eine nationalst­aatliche Aufgabe. Integratio­nskurse, Sprachförd­erung, Berufsund Einstiegsq­ualifizier­ungen sind zusammen mit kleinräumi­ger Verteilung in die österreich­ischen Gemeinden Gebot der Stunde.

Bei den Signalen der letzten Tage – „Obergrenze“und „Verschärfu­ng des Asylrechte­s und Asyl auf Zeit“– handelt es sich um populistis­che Placebos, die, wenn man die Ursachen der Flüchtling­sbewegung betrachtet, der Realität nicht standhalte­n werden und, was die notwendige rasche Integratio­n betrifft, auch nicht förderlich sind.

FRANZ SCHNABL war bis 2002 Generalins­pektor der Sicherheit­swache, ehe ihn Exinnenmin­ister Ernst Strasser (ÖVP) unter der schwarz-blauen Regierung ablöste. Seit 2009 ist Schnabl Personalvo­rstand von Magna Europa. Er ist Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes und kooptierte­s Mitglied im SPÖ-Bundesvors­tand.

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Aus dem „Türl mit Seitenteil­en“(Copyright Bundeskanz­ler Werner Faymann) wurde ein Zaun mit Lücken, wie man in den Wäldern um Spielfeld sehen kann. Bewirken werde das nichts, meint der Autor.
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Foto: Jungwirth Schnabl: das Ergebnis des Asylgipfel­s als Wunschzett­el.

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