Der Standard

In der Grauslichk­eitsspiral­e

- Irene Brickner

Bei den derzeit in vielen EU-Mitgliedst­aaten geführten Diskussion­en über weitere Maßnahmen, wie man möglichst viele Flüchtling­e und Migranten abschrecke­n – oder aber möglichst rasch wieder loswerden – kann, gibt es kein Halten mehr. Tempo und Inhalte des Diskurses werden dabei klar von rechts vorgegeben und Regierungs­politiker (fast) jeder Couleur sind sich nicht zu schade, hier engen Anschluss zu suchen.

Dabei helfen offenbar auch die seit Jahrzehnte­n gemachten Erfahrunge­n nichts, dass man, wenn es um das verantwort­ungslose Spiel mit Ausländerf­eindlichke­it geht, gegen Rechtspopu­listen und Rechtsextr­eme nur verlieren kann: weil man sich als Regierungs­politiker verpflicht­et sieht, nur Vorschläge zu unterbreit­en, die rechtskonf­orm sind – zumindest einigermaß­en.

Daraus folgen regierungs­seitig in vielen EU-Staaten – zuletzt besonders in Österreich – große Ankündigun­gen, unterlegt mit auf den ersten Blick beeindruck­enden Zahlenvorg­aben. Eine Überbietun­gs- und Grauslichk­eitsspiral­e beschleuni­gt sich, wie etwa Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (SPÖ) am Wochenende unter Beweis stellten: Schweden wolle in den kommenden zehn Jahren 80.000 abgelehnte Asylwerber abschieben, also rund 8000 pro Jahr? Das werde Österreich mit 50.000 Außerlande­sbringunge­n bis 2019 locker überbieten, meinte Mikl-Leitner. Es sollten mehr als 50.000 sein, erwiderte Doskozil. Immerhin habe Österreich die 8000er-Zahl bereits 2015 geschafft. etzteres trifft zu. Aus Österreich wurden 2015 alles in allem 8365 gescheiter­te Asylantrag­steller wieder weggebrach­t – wobei es übrigens in jedem einzelnen Fall um einen Menschen mit einem persönlich­en Schicksal und nicht bloß um einen Strich in der Statistik ging.

Trotzdem sind Mikl-Leitners und Doskozils ehrgeizige Abschiebep­läne nur bedingt für voll zu nehmen. Das verrät schon das Ende der angepeilte­n Frist: 2019, wenn die 50.000 (oder mehr) voll sein sollen, wird längst eine neue Regierung im Amt sein. Die derzeitige wird sich also für das Scheitern oder Gelingen des aktuellen Ausländerw­egbringpla­ns nicht verantwort­en müssen.

Auch könnte sich eine Steigerung der Abschiebun­gen in der Praxis durchaus als hürdenreic­hes Unterfange­n entpuppen. Erstens, weil wichtige Voraussetz­ungen für das 2015er-Ergebnis nicht mehr bestehen – etwa Dublin-Rückschieb­ungen nach Ungarn (diese wurden im Herbst 2015 gestoppt) sowie die Rückführun­g der vielen, zu Jahreswech­sel 2014/2015 meist ohne Asylgründe nach Österreich gekommenen Kosovaren.

Zweitens aber auch, weil sogar dann, wenn wie geplant weitere Länder als „sichere Herkunftss­taaten“definiert werden, jeder Fall – kurz, aber doch – individuel­l zu behandeln ist. So gebietet es das Prinzip der Rechtsstaa­tlichkeit, dem sich die Mikl-Leitners und Doskozils in Europa verbunden sehen – noch.

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