Der Standard

Dem Raum in der Musik zuhören

Mit Turner-Preis-Trägerin Susan Philipsz holt Thomas D. Trummer eine Künstlerin der leisen Töne ins Kunsthaus Bregenz. „Night and Fog“macht den Zumthor-Bau zur Klangskulp­tur und zum Ort der Erinnerung.

- Jutta Berger

Bregenz – „Ein Arrangemen­t für 48 Lautsprech­er und ein Gebäude“ist die Soundinsta­llation von Susan Philipsz für das Kunsthaus Bregenz (Kub). Sie habe sich von der besonderen Atmosphäre des Zumthor-Baus ebenso inspiriere­n lassen wie von der winterlich­en Nebellands­chaft am Bodensee, sagt die Künstlerin, die sich für Themen wie Verschwind­en, Undeutlich­keit und Abwesenhei­t interessie­rt. Krieg und Trauma beschäftig­en die Schottin intensiv, seit sie in Berlin lebt. „Die Gegebenhei­ten des Ortes mit seiner Geschichte verbinden“will sie in Bregenz.

Wenig sei da zu sehen, warnt Kub-Direktor Thomas D. Trummer, und für das Wenige, das zu hören sei, müsse man sich sensibilis­ieren. Schwarze Lautsprech­er vor und an grauen Betonwände­n, einige Fotografie­n, großformat­ige Drucke bilden den Rahmen des Klangraums. Die Fotos zeigen Musikinstr­umente, die im Krieg beschädigt wurden, die Prints Partituren von Hanns Eisler, die Philipsz mit historisch­en FBI-Dokumenten überlagert.

Die Kargheit irritiert. Man geht an Lautsprech­ern vorbei, unter ihnen durch. Hier ein Ton, dort unvermutet der nächste, Klänge füllen den Raum, dann wieder minutenlan­ge Stille. Betonwände und Lautsprech­er werden zur Landschaft, Besucher zu nach Orientieru­ng und Erklärung Suchenden.

Jedem Stockwerk hat Susan Philipsz ein Instrument zugeordnet: Klarinette, Trompete, Horn und Violine. Im steilen Stiegen- haus vermengen sich die Töne. Zwölf Lautsprech­er sind es pro Stockwerk, einer für jeden Ton der chromatisc­hen Tonleiter. Philipsz fragmentie­rt die Filmmusik des Zwölftonko­mponisten Eisler für Nuit et brouillard von Alain Resnais. Hanns Eislers Musik und Biografie beschäftig­ten Philipsz bereits in früheren Arbeiten. Die Künstlerin zerlegt dessen Kompositio­nen, es entstehen Fragmente mit Lücken und Pausen.

Flötentöne aus dem Wald

Man muss genau hinhören, alles scheint eigenartig gedämpft. Night and Fog nennt Susan Philipsz ihr Werk. „Sie hören nicht nur die Musik im Raum, sondern den Raum in der Musik; den Raum der Erinnerung, der politische­n, kulturelle­n, kollektive­n Geschichte“, sagt Trummer. Die lokale Geschichte integriert Philipsz durch eine weitere Installati­on am Jüdischen Friedhof in Hohenems. Aus zwölf an Bäumen montierten Lautsprech­ern dringen Flötentöne, machen den aus dem 17. Jahrhunder­t stammenden Friedhof zur magischen Klangskulp­tur.

Alain Resnais’ Film Nuit et brouillard, eine der ersten Dokumentat­ionen über die Vernichtun­gslager Auschwitz und Majdanek, nimmt mit seinem Titel Bezug auf sogenannte „Nacht-undNebel-Aktionen“der Nazis: Per Führererla­ss wurden Regimegegn­er aus den besetzten Gebieten „bei Nacht und Nebel“abgeholt und in deutsche Lager und Gefängniss­e gebracht, wo man sie als „NN-Häftlinge“isolierte. Angehörige ließ man über deren Schicksal im Unklaren.

Hanns Eisler, Jude und Kommunist, Schüler von Schönberg und politische­r und künstleris­cher Weggefährt­e Bert Brechts, gelang die Flucht vor den Nazis. Doch seine Karriere im amerikanis­chen Exil endete 1948 jäh, er galt im paranoiden Amerika der McCarthy-Ära als Staatsfein­d, wurde überwacht, denunziert, verfolgt, schließlic­h ausgewiese­n. Philipsz’ Collagen aus Partituren und FBI-Dokumenten erzählen vom Leben des unerwünsch­ten Kriegsflüc­htlings.

Bilder der Niedertrac­ht

Resnais hatte sich Eisler 1955 nicht zufällig als Komponiste­n ausgesucht: Er wollte – wie auch im Falle des in Mauthausen inhaftiert­en Schriftste­llers Jean Cayrol, der den Text zum Film schrieb – Nazigegner und -opfer mitgestalt­en lassen.

Der Film wird im Untergesch­oss des Kub gezeigt. Zum unübersehb­aren Bestandtei­l der Installati­on wollte man ihn nicht machen. Zu sehr würden die Bilder die Impression­en überlagern, sind sich Susan Philipsz und Thomas D. Trummer einig. Sie setzen auf die Wirkung des Klanges, überlassen es Besucherin­nen und Besuchern, ob sie sich auf Resnais’ Landschaft­en des Grauens und der Niedertrac­ht einlassen wollen.

Sie sollten es tun. Denn der tiefere Sinn der Ausstellun­g erschließt sich erst durch den Film. Schriftste­ller und Regisseur nehmen Bezug auf ihre Gegenwart, damals den Algerienkr­ieg. Die Gedanken von Paul Celan, der Jean Cayrols Kommentar für die westdeutsc­he Filmversio­n übersetzte, haben auch heute Gültigkeit. „Und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben, uns, die wir tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, dass all das nur einer Zeit und nur einem Land angehört, uns, die wir vorbeisehe­n an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt.“Bis 3. 4. pwww. kunsthaus-bregenz.at

 ?? Foto: Markus Tretter ?? Susan Philipsz lässt Töne statt Bilder wirken. Basis ihrer Arbeit „Night and Fog“für das Kunsthaus Bregenz ist Hanns Eislers Filmmusik zu Alain Resnais’ AuschwitzD­okumentati­on „Nacht und Nebel“. Auf die Biografie des Komponiste­n, der als Jude von den...
Foto: Markus Tretter Susan Philipsz lässt Töne statt Bilder wirken. Basis ihrer Arbeit „Night and Fog“für das Kunsthaus Bregenz ist Hanns Eislers Filmmusik zu Alain Resnais’ AuschwitzD­okumentati­on „Nacht und Nebel“. Auf die Biografie des Komponiste­n, der als Jude von den...

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