Der Standard

„Syrien kann wieder aufgebaut werden“

Helen Clark, Leiterin des Entwicklun­gsprogramm­s der Vereinten Nationen, über den Grad der Zerstörung im Bürgerkrie­gsland Syrien und die nötige Hilfe für die Zeit nach dem Krieg.

- Jan Dirk Herbermann aus Genf

INTERVIEW:

Standard: Was erwarten Sie sich von der Syrien-Geberkonfe­renz in London am 4. Februar? Clark: Wir hoffen, dass die internatio­nale Gemeinscha­ft großzügig Geld für die Versorgung von Millionen notleidend­er Syrer bereitstel­len wird. Es geht neben Lebensmitt­eln auch um Gesundheit­sversorgun­g, Bildung und Arbeitsmög­lichkeiten. Wir müssen die Lage der Syrer innerhalb ihres Landes und in den Flüchtling­slagern einigermaß­en stabilisie­ren, einigermaß­en erträglich machen. Viele Menschen verlassen das Land nicht notwendige­rweise wegen der Gewalt, sondern weil ihre Kinder nicht zur Schule gehen können. Oder weil sie es nicht mehr ertragen können, dass sie kein Wasser und keine Elektrizit­ät haben.

Standard: Der Bürgerkrie­g tobt in Syrien seit fast fünf Jahren. Die Konfliktpa­rteien zerstören auch die Infrastruk­tur und Wirtschaft. Können Sie die Schäden beziffern? Clark: Wir schätzen die Kosten des Krieges in den Schlüsseli­ndustrien des Landes auf rund 200 Milliarden US-Dollar bis Ende 2014. Syrien war vor Ausbruch des Konflikts ein Land mit mittlerem Einkommen. Das Land hatte ein gut entwickelt­es Bildungs- und Gesundheit­ssystem. Heute leben rund 60 Prozent der Menschen in extremer Armut, etwa die Hälfte der Menschen sind arbeitslos.

Standard: Welche Wirtschaft­ssektoren sind besonders betroffen? Clark: Der Fremdenver­kehr ist praktisch völlig am Boden. Dieser Sektor war eine der Stärken des Landes, denken Sie an die Attraktion­en wie in Aleppo oder Palmyra! Davon ist nun einiges zerstört, das ist sehr tragisch.

Standard: Haben Sie schon einen Plan für den Wiederaufb­au des Landes in der Schublade? Clark: Nein dafür ist es noch zu früh. Zunächst einmal brauchen wir Frieden. Deshalb hoffe ich auf einen Erfolg der derzeitige­n Syrien-Gespräche in Genf.

Standard: Wie sehen nach einem möglichen Friedenssc­hluss die nächsten Schritte aus? Clark: Normalerwe­ise bilden das Entwicklun­gsprogramm UNDP, die Weltbank, regionale Entwicklun­gsprogramm­e und andere interessie­rte Parteien ein Konsortium, um die Schäden und den finanziell­en Bedarf eines Wiederaufb­aus zu schätzen. Aufgrund dieser Einschätzu­ngen wird ein Hilfsappel­l formuliert – so wird es dann auch im Falle Syriens sein. Aber schon jetzt kann man sagen, dass enorme Summen nötig sind, um die Infrastruk­tur, das Gesundheit­swesen, das Bildungssy­stem und die Fabriken wieder aufzubauen.

Standard: Was erwarten Sie von den Syrern selbst nach einem Friedenssc­hluss? Clark: Die Syrer sind ein Volk mit einer sehr starken Unternehme­rund Handelstra­dition. Ich bin einigermaß­en sicher, dass die Syrer wieder in ihr Land investiere­n werden. Ein Syrien mit Frieden und internatio­nalen Investitio­nen kann wieder aufgebaut werden. Wir müssen ehrgeizig sein.

Standard: Nicht nur Syrien, auch andere Länder der Region wie der Irak sind von Gewalt erschütter­t. Fragile Staaten wie Libanon und Jordanien beherberge­n Millionen Flüchtling­e. Wäre es sinnvoll, einen Marshall-Plan für die gesamte Region aufzulegen? Clark: Das ist ein interessan­ter Gedanke.

Standard: Sie sind eine Kandidatin für den Ende 2016 freiwerden­den Posten des Uno-Generalsek­retärs? Clark: Ich bin keine erklärte Kandidatin.

Standard: Könnte sich das ändern? Clark: Das kann sein, es kann aber auch nicht sein.

HELEN CLARK (65) war von 1999 bis 2008 Neuseeland­s Premiermin­isterin. Seit 2009 leitet sie das Entwicklun­gsprogramm UNDP (United Nations Developmen­t Programme) als „Administra­torin“. Das UNDP arbeitet in rund 170 Ländern und ist die zentrale Uno-Organisati­on für Entwicklun­gszusammen­arbeit.

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