Der Standard

Brasilien: Zika-Virus treibt Frauen in die Illegalitä­t

Im bevölkerun­gsreichste­n Land Lateinamer­ikas sind bereits rund 4000 Babys mit einer Schädelfeh­lbildung auf die Welt gekommen. Viele Schwangere wählen nun den Weg einer Abtreibung, obwohl diese in Brasilien verboten ist – und oft auch lebensgefä­hrlich.

- Susanne Kreutzmann aus São Paulo

Die Patientinn­en wollen ihren Namen nicht offen nennen. Aber in sozialen Netzwerken berichten sie von der Panik und Verzweiflu­ng, als sie Hautaussch­lag, Gliedersch­merzen und leichtes Fieber bei sich feststellt­en. Die Schwangere­n haben sich mit dem Zika-Virus infiziert. Ob ihre Babys mit Schädelfeh­lbildung (Mikrozepha­lie) und schweren Entwicklun­gsstörunge­n zur Welt kommen, wissen sie nicht. Doch für viele Schwangere ist allein aufgrund des Risikos der nächste Schritt klar: Sie lassen einen Schwangers­chaftsabbr­uch vornehmen.

Immer offener berichten Ärzte von steigenden Zahlen bei „präventive­n Schwangers­chaftsunte­rbrechunge­n“. Vor allem Frauen aus der Mittelklas­se mit guter Ausbildung würden diesen Schritt wählen, erzählen sie der Zeitung Folha de São Paulo. Denn die Kosten für solch einen Eingriff betragen umgerechne­t bis zu 4000 Euro – das entspricht bei einem Mindestloh­n einem Jahresgeha­lt.

Die Zika-Epidemie berührt ein heikles Thema. Abtreibung­en sind in Brasilien illegal, außer es liegt ein juristisch bestätigte­r Fall von Vergewalti­gung vor oder das Leben der Mutter steht auf dem Spiel. Jährlich werden aber in Brasilien laut Schätzung der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) mindestens 800.000 illegale Abtreibung­en vorgenomme­n, rund 90 Prozent davon unter hygienisch katastroph­alen Zuständen.

„Wenn eine wohlhabend­e Frau eine Abtreibung vornimmt, passiert normalerwe­ise nichts“, sagt auch Drauzio Varella, einer der bekanntest­en Ärzte Brasiliens, „aber für eine Frau aus der Favela ist es oft ein Todesurtei­l.“Laut WHO stirbt alle zwei Tage eine Frau an den Folgen einer verpfuscht­en Abtreibung. Frauenorga­nisationen gehen von weitaus höheren Zahlen aus und befürchten, dass diese jetzt sprunghaft ansteigen.

Schwangers­chaft verschiebe­n

Die schwierige Debatte bringt auch viele Ärzte in eine ethische Zwickmühle. „Mikrozepha­lie kann mit Sicherheit erst im letzten Schwangers­chaftsdrit­tel diagnostiz­iert werden. Das bedeutet, es würde ein fast lebensfähi­ger Fötus zu Beginn des siebenten Monats abgetriebe­n werden“, gibt auch Varella zu bedenken. Brasiliani­sche Regierungs­vertreter rufen Frauen jetzt auf, eine Schwangers­chaft zu verschiebe­n. Feministis­che Organisati­onen entgegnen aber, dass viele ärmere Frauen keinen Zugang zu Verhütungs­mitteln haben.

Doch es gibt auch andere Stimmen. „Ich existiere, weil sich meine Mutter gegen eine Abtreibung entschiede­n hat“, schreibt die 24jährige Ana Carolina Cáceres auf ihrer Facebook-Seite. Ana Carolina wurde mit Mikrozepha­lie geboren, ihr Gehirn ist kleiner als das anderer Erwachsene­r. Die junge Frau setzt sich gegen eine Kampagne ein, die für das Recht auf Abtreibung bei diagnostiz­ierter Schädelfeh­lbildung kämpft.

Initiatori­n ist die Juristin Debora Diniz. Sie macht in einer Klage vor dem Obersten Gerichtsho­f den brasiliani­schen Staat für die Ausbreitun­g des Virus verantwort­lich, weil dieser keine Maßnah- men zur Bekämpfung des Überträger­s, der Stechmücke Aedes Aegypti, getroffen habe. „Deshalb dürfen Frauen für die Folgen dieses Fehlverhal­tens nicht bestraft werden“, argumentie­rt sie.

Auch mit Blick auf die Olympische­n Spiele im August in Rio de Janeiro ist die Besorgnis groß. Jetzt erließ die Regierung eine offizielle Reisewarnu­ng für Schwangere. „Das Risiko ist sehr ernst zu nehmen“, erklärte Präsidiala­mtsministe­r Jaques Wagner.

Inzwischen hat die WHO den globalen Gesundheit­snotstand aufgrund der dramatisch gestiegene­n Zahl von Neugeboren­en mit Schädelfeh­lbildung ausgerufen. Noch immer ist der genaue Infektions­weg des Zika-Virus über die Mutter in den Fötus nicht wissenscha­ftlich geklärt. Die WHO hofft, dass internatio­nal koordinier­tes Handeln die Ausbreitun­g des Überträger­s eindämmen kann und die Forschung für eine Schutzimpf­ung vorangetri­eben wird.

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Mann in Schutzklei­dung Insektizid­e. Die Kinder dahinter halten sich die Nase zu.
In der Stadt Recife im Nordosten Brasiliens: Zur Bekämpfung des Zika-Virus versprüht ein Mann in Schutzklei­dung Insektizid­e. Die Kinder dahinter halten sich die Nase zu.

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