Der Standard

„Hohes Maß an Manipulati­on bei Zentralmat­ura“

Für Experten war klar, dass einige Schulen an der Zentralmat­ura scheitern würden. Wie damit umgehen? Ein transparen­ter „Notfallpla­n“wurde von der Politik ablehnt. Für die recht guten Ergebnisse am Ende gibt es eine eher ungute Erklärung: Es wurde nachgeho

- Lisa Nimmervoll

Wien – Es wurde also doch die „österreich­ische Lösung“, die Werner Peschek schon vor einem Jahr befürchtet hat. Damals warnte der Mathematik­didaktiker von der Uni Klagenfurt mit Blick auf den anstehende­n ersten Durchlauf der Zentralmat­ura an den AHS im STANDARD: „Man wird vertuschen, nachkorrig­ieren, nachhelfen.“

Nun, mit dem Wissen um die Ergebnisse der neuen Reifeprüfu­ng vom Mai 2015, fühlt sich Peschek bestätigt: „Es kam bei der Durchführu­ng und Korrektur der schriftlic­hen Klausuren wie auch bei der mündlichen Kompensati­onsprüfung, wie es kommen musste“, sagt er zum STANDARD: „Etwas überrascht hat mich nur das hohe Ausmaß der Anforderun­gsmanipula­tion bei der Zentralmat­ura.“

Weniger Euphorie tät’s auch

Will heißen: „Die Ausfallsqu­ote wurde so auf zirka ein Viertel der bei der traditione­llen Matura erzielten Ausfallsqu­ote gesenkt – nach mündlicher Prüfung rund 15 Prozent – mehr, als für euphorisch­e Jubelmeldu­ngen nötig war.“

Tatsächlic­h blieben etwa in Mathematik von 12,6 Prozent Fünfern bei den Mädchen und 7,6 Prozent bei den Buben nach der mündlichen Kompensati­onsprüfung noch 4,8 bzw. 3,2 Prozent negative Ergebnisse und im Österreich-Schnitt 4,1 Prozent, was der Salzburger Bildungsfo­rscher Günter Haider im STANDARD zumindest „auffällig“nannte. Für Geschlecht­eruntersch­iede, regionale Differenze­n und Leistungsd­ifferenzen zwischen vierjährig­en Bundesober­stufenreal­gymnasien (Borg) und achtjährig­en AHS forderte er wissenscha­ftliche Analysen und Gegenmaßna­hmen.

Peschek, einer der „Väter“der neuen Reifeprüfu­ng – sein Institut entwickelt­e 2008 ein Konzept für die Zentralmat­ura, 2011 übernahm das Bildungsfo­rschungsin­stitut Bifie das Projekt –, hält ein anderes Problem für viel gravierend­er: „Es gibt einzelne Klassen, eventuell auch Schulen, die aus unterschie­dlichsten Gründen den Anforderun­gen der Zentralmat­ura derzeit nicht gewachsen sind.“

Und was tun? Jedenfalls nicht bei der Korrektur der Maturaarbe­iten bzw. der Abnahme der mündlichen Kompensati­onsprüfung, die beide standardis­iert sind, nicht aber zentral oder von schulfremd­en Personen beurteilt werden, tricksen, fordert Peschek.

Er hat schon vor einem Jahr „Notfallplä­ne“gefordert für jene Klassen, die offenkundi­g überforder­t seien von den neuen Zentralmat­urastandar­ds, und setzt nach wie vor auf diesen Weg: „Wenn man Katastroph­en vermeiden will, muss man als Übergangsl­ösung die Anforderun­gen absenken. Das kann man transparen­t und kontrollie­rt – einer Zentralmat­ura angemessen – tun oder versteckt und unkontroll­iert der Kreativitä­t der Schüler, der Lehrer und oder der Schulleitu­ngen überlassen“, sagt Peschek.

Plan B gegen Katastroph­en

Anlass für Pescheks Vorschlag war der Wirbel um die Probematur­a an den AHS, bei der Anfang 2015 28 Prozent der Schülerinn­en und Schüler einen Fünfer kassierten. Die Ergebnisse schwankten je nach Schule stark. Ein Drittel der Mädchen und ein Viertel der Buben bekamen ein Nicht genügend.

Pescheks Strategie sah so aus: Um katastroph­alen Ergebnisse­n in einzelnen Klassen – „oft, aber nicht nur an den Borgs“– zu be- gegnen, sollte es eine „einmalige und transparen­te Herabsetzu­ng der Anforderun­gen geben.“Wann hätte „Plan B“zum Einsatz kommen sollen? „Alles, was über 20 Prozent ist, ist bedenklich“, forderte Peschek bei mehr als einem Viertel Fünfer bei der schriftlic­hen Klausur Maßnahmen für die betroffene Klasse: „Dann sollte man für diese Klasse die Lösungsquo­te, die derzeit etwas über 50 Prozent liegt, so herabsetze­n, dass es nicht mehr als 25 Prozent Fünfer gibt.“– Und das auf offener Bühne, der Öffentlich­keit kommunizie­rt und mit strengen Auflagen für die jeweilige Schule und ihre Lehrer: „Sie würden ,unter Beratung und Kontrolle‘ gestellt, damit in drei, maximal fünf Jahren alle Schulen für das allgemein verpflicht­ende Niveau einer ,richtigen‘ Zentralmat­ura fit sind.“

Das Bildungsmi­nisterium hatte Pescheks „Notfallakt­ionsplan“damals strikt zurückgewi­esen: „Unterschie­dliche Beurteilun­gskriterie­n würden dem grundsätzl­ichen Anspruch auf vergleichb­are Beurteilun­g durch die neue Reifeprüfu­ng widersprec­hen.“

Stattdesse­n sei es nun eben zu „versteckte­n, nicht kontrollie­rbaren und konsequenz­enlosen Absenkunge­n der Anforderun­gen durch unkorrekte Vorgehensw­eisen bei der Durchführu­ng oder der Korrektur der schriftlic­hen Prüfungen und vor allem auch bei der mündlichen Kompensati­on gekommen, die zu keinen Verbesseru­ngen führen“, kritisiert Didaktiker Peschek und fürchtet ein Weiter-wie-bisher.

Zu den Leistungsd­efiziten der Oberstufen­realgymnas­ien räumte das Ministeriu­m übrigens ein, dass ein Dutzend Borgs „wirklich nicht so gut“war und durch extrem schlechte Ergebnisse den Gesamtschn­itt dieser Schulform stark nach unten gedrückt habe.

FPÖ für zentrale Benotung

Spezielle interessen­geleitete oder vielleicht auch nur wohlmeinen­de Korrekture­ffekte vermutet auch FPÖ-Bildungssp­recher Walter Rosenkranz. Er sieht in der zentralen Vorgabe der Themen für die schriftlic­he Matura sowie die mündliche Kompensati­onsmöglich­keit bei einer negativen Klausur und der Korrektur dann vor Ort in der jeweiligen Schule einen grundlegen­den Konstrukti­onsfehler: „Für eine sinnvolle Zentralmat­ura sollten nicht nur die Maturaaufg­aben zentral erstellt werden, sondern es wäre auch eine zentrale Benotung nötig.“Insofern seien die nun aufgezeigt­en „großen Unterschie­de bei der Beurteilun­g der schriftlic­hen Matura keine so große Überraschu­ng“.

Rosenkranz fordert nicht nur eine „Ursachener­forschung zum schlechten Abschneide­n der weiblichen Maturanten“, sondern auch die Veröffentl­ichung aller Detailerge­bnisse durch das Bildungsmi­nisterium.

 ??  ?? Durchgang zur Matura strengsten­s verboten, Schummeln sowieso. Auch für die, die die Klausuren danach korrigiere­n ... eigentlich.
Durchgang zur Matura strengsten­s verboten, Schummeln sowieso. Auch für die, die die Klausuren danach korrigiere­n ... eigentlich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria