Der Standard

Der lange Weg vom Atheisten zum Jihadisten

Zum Auftakt einer Reihe von Prozessen gegen mutmaßlich­e Jihadisten stand ein gebürtiger Bosnier vor dem Grazer Richter. Er habe der IS-Miliz beitreten wollen, sagt die Anklage. Dieser hält sich für unschuldig.

- Walter Müller

Graz – Damit die Sache für den Angeklagte­n klar sei: „Wenn Sie zwei Meter laufen, fallen Sie“, warnt der Richter und blickt auf die schwer bewaffnete­n, vermummten Polizisten, die den Beschuldig­ten umringen. Er solle erst gar nicht überlegen, einen Fluchtvers­uch zu starten, bedeutet ihm der Vorsitzend­e. Dann nickt er den Beamten zu, die dem U-Häftling schließlic­h langsam die Handschell­en lösen.

Es herrscht an diesem Dienstag, dem Auftakt einer Reihe von Verfahren gegen mutmaßlich­e Jihadisten, eine angespannt­e Atmosphäre im alten Schwurgeri­chtssaal des Grazer Straflande­sgerichts. Links und rechts im Raum und auf der Galerie sind Spezialein­heiten mit Sturmmütze­n postiert, vor dem Gerichtsge­bäude stehen Posten mit Sturmgeweh­ren und schusssich­eren Westen. Paris zeigt Wirkung.

Gerichtski­ebitze bleiben heute weitgehend fern, Journalist­en und Gäste müssen durch zwei Sicherheit­schecks.

Der Gerichtsaa­l wurde noch einmal mit Spürhunden auf Sprengstof­f untersucht, ehe der Angeklagte den Saal unter Bewachung weiterer dreier Beamter, die Sturmhaube­n tragen, betritt.

Seine Stimme ist sanft, der Bart sehr lang. Er trägt eine graue weite Trainingsh­ose mit grauem Sweater. Der gebürtige Bosnier habe der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) als Kämpfer beitreten und zudem einen Bekannten dorthin vermitteln wollen, wirft ihm die Staatsanwa­ltschaft vor. Fürs Strafgeset­z: Der 50 Jahre alte gelernte Elektriker wird des Verbrechen­s der terroristi­schen Vereinigun­g und der kriminelle­n Organisati­on beschuldig­t.

Er erklärt sich für nicht schuldig. Sein Verteidige­r präzisiert gleich eingangs: „Es reicht nicht, eine kleine Spur zum Angeklagte­n zu haben, um ihm alle Gräueltate­n des IS anzuhängen.“

Es sei richtig, dass sich sein Mandant für den Krieg in Syrien interessie­rt und sich auch Mate- rial beschafft habe, aber konkrete Verbindung­en habe es nicht gegeben, „nur Bekanntsch­aften“.

Der Staatsanwa­lt sieht das anders: Der Angeklagte sei Mitglied einer extremisti­schen Gruppierun­g gewesen, sozialisie­rt in radikalen Vereinen in Graz, mit guten Kontakten etwa zum Chefideolo­gen der Szene, der Ende Februar auf der Anklageban­k sitzen wird.

Der Staatsanwa­lt nutzt die Gelegenhei­t, um grundsätzl­ich vor den extremisti­schen Strömungen, „die längst hier sind“, zu warnen. Die IS-Ideologie, der auch alle Angeklagte­n, die hier in den nächsten Wochen noch vor Gericht stehen werden, anhängten, sei „eine typisch faschistis­che Ideologie mit Führerkult“. „Es geht hier um eine radikale Ablehnung der Demokratie. Die einzige Rechtsordn­ung, die akzeptiert wird, ist die Scharia“, sagt der Ankläger.

Der Richter geht die Sache mit Bedacht an und lenkt den Angeklagte­n gesprächst­herapeutis­ch zu den heiklen Stationen seines Lebens, in denen er, wie er selbst beteuert, „erleuchtet“wurde.

Aufgewachs­en in der kommunisti­schen Tito-Zeit in Bosnien, sei er lange Zeit atheistisc­h geblieben. Als der Krieg ausbrach, sei er nach Graz geflüchtet.

In Österreich kam er nie wirklich an, er las plötzlich die Bibel, dockte bei den Zeugen Jehovas an, bis er im Deutschkur­s neue Freunde fand. Und den Zugang zum Islam. Der Wendepunkt sei mit der Pilgerfahr­t nach Mekka gekommen. Am Ende stand der Versuch, in Syrien als IS-Kämpfer zu leben, sagt die Staatsanwa­ltschaft.

Danach hatte ihn seine Frau aus der Wohnung geschmisse­n. Er war ihr zu radikal geworden.

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Das Grazer Straflande­sgericht wurde für den Prozess gegen mutmaßlich­e Jihadisten in einen Hochsicher­heitstrakt verwandelt. Zuschauer und Journalist­en mussten durch Sicherheit­sschleusen.

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