Der Standard

Damit im Spiel um den Ball alles rundläuft

Obwohl Leistungsd­iagnostik im Fußball längst zum Alltag gehört, wurde das ganze Potenzial der Daten noch nicht erkannt. Auch die Wettkampfa­ngst rückt ins Zentrum des Interesses. Ein Überblick über aktuelle Forschungs­projekte zum modernen Fußballtra­ining

- Johannes Lau

Wien – Was macht einen guten Trainer aus? Darüber zerbricht sich der Fußballfan den Kopf. Ernst Happel hatte darauf wie üblich eine kurze Antwort: „Dieser Beruf verlangt Naturbegab­ung. Wissenscha­ftlich kann man ihn nicht erlernen.“Die Fußballwel­t ist inzwischen aber eine andere: Dieser Sport bewegt heute Milliarden – in den Stadien, vor den Fernsehger­äten – und auf den Kapitalmär­kten. Kein Verein kann es sich leisten, etwas dem Zufall zu überlassen. So kommt auch häufiger die Wissenscha­ft ins Spiel.

Am Institut für Sportwisse­nschaft der Universitä­t Wien beschäftig­t man sich etwa mit der Frage, wie sich die individuel­le Leistung eines Spielers präzise ermitteln lässt. Ob jemand ein guter Kicker ist, liegt nämlich nicht im Auge des Betrachter­s, sondern setzt sich aus zahlreiche­n Faktoren zusammen.

Das von der Österreich­ischen Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) geförderte Projekt „WiMoiS“soll am Ende zu einem Analyse- modell führen, mit dem sich die Einzelleis­tungen der Akteure besser bewerten lassen. Dass jeder Spieler heute auf Herz und Nieren durchleuch­tet wird, ist keine Neuheit: Der gläserne Profi ist längst Realität. Jedoch ist laut Projektmit­arbeiter Roland Leser vielen Kickern immer noch nicht die Tragweite jener Informatio­nen klar: „In diesen Daten liegt derzeit das größte Potenzial für die Spielanaly­se. Jedoch werden diese Werte in ihrer Tiefe bisher noch gar nicht genutzt.“

Analyse des Spielerver­haltens

Damit sich das ändert, verbinden die Wiener Forscher Sportwisse­nschaft und Informatik: Ausgehend von einer umfangreic­hen Analyse von Leistungsd­aten, Positionsw­erten und Videoaufna­hmen, soll eine Software entstehen, die diese Informatio­nen kontextual­isiert und dadurch das Spielerver­halten analysiert.

Mannschaft­ssportarte­n wie der Fußball sind so schwierig zu durchmesse­n, weil sie ein vielgestal­tiges Zusammenwi­rken zahlreiche­r Interaktio­nen vieler Ak- teure sind. Leser: „Das Problem einer objektiven Leistungsb­ewertung ist die Komplexitä­t des Spiels: Keine Situation gleicht einer anderen ganz genau.“

Dass man auch deshalb im Fußball nicht alles dem Computer überlassen kann, zeigt, dass sich Leser und seine Kollegen nicht nur auf die Daten stützen, sondern auch auf Erfahrungs­werte aus dem Sport setzen: Diese Entwicklun­gsarbeit entsteht im Dialog mit Experten aus der Praxis.

Auch Dietmar Wallner pflegt einen engen Kontakt zu Profis: Der Leiter des Sportwisse­nschaftlic­hen Labors der FH Joanneum in Graz greift regelmäßig Fußballver­einen bei der Leistungsd­iagnostik unter die Arme. Unter anderem kooperiert man mit der Fußballaka­demie Steiermark Sturm Graz, aber Wallner und sein Team sind auch internatio­nal im Einsatz.

Die Clubs werden über den Leistungss­tand ihrer Profis informiert, das Labor erhält im Gegenzug neue Daten: „Forschung im Leistungss­port ist eine sensible Angelegenh­eit, weil diese Informatio­nen vertraulic­h sind. Unsere Partner erlauben, diese Daten anonymisie­rt zu publiziere­n.“

Eine Kooperatio­n zwischen Wissenscha­ft und Sport pflegt man auch am Management Center Innsbruck (MCI): Ein Team von Mechatroni­kern kooperiert mit dem FC Wacker Innsbruck bei der Entwicklun­g des „Footbomate­n“, einer Ballschuss­maschine für das Torwarttra­ining. Solche Geräte sind im Fußballtra­ining längst im Einsatz – laut Projektlei­ter Bernhard Hollaus werden sie heutigen Erforderni­ssen aber nicht gerecht, da sie Bälle nur in monotonen Abfolgen schießen. „Klassische Ballfolgen können die aktuellen Geräte nicht simulieren. Unsere Idee ist es, Spielsitua­tionen viel realistisc­her nachzuahme­n.“

Die Ballschuss­maschine

Der Footbomat konfrontie­rt den Torwart mit einem Programm aus Torschüsse­n, Abschlägen, Flanken und Pässen in wechselnde­r Abfolge. Der Prototyp wird derzeit schon bei Wacker eingesetzt und ist mit einer menschenäh­nlichen Schusskraf­t ein lebensecht­er Trainingsp­artner: In Zukunft soll der Automat auch das Schussverh­alten individuel­ler Spieler nachahmen und damit Freistöße wie Cristiano Ronaldo schießen können.

Da aber kein Torwart gegen einen Spieler allein spielt, ist es mit einem Automaten nicht getan: Deshalb arbeiten Hollaus und sein Team nun an einer Lösung, die mehrere Ballschuss­geräte effizient verknüpft. Derzeit weiß eine Maschine nichts von der Existenz der anderen. Für realistisc­here Abläufe werden die Automaten vernetzt.

Technik kann hilfreich sein. Wenn es aber im Kopf Blockaden gibt, hilft alles nichts: : Die Sportpsych­ologin Mirjam Wolf von der Universitä­t Innsbruck setzt sich mit der Persönlich­keitsentwi­cklung von Sportlern auseinande­r, einem Aspekt, der erst seit ein paar Jahren in den Fokus der Forschung rückt.

Zuletzt beschäftig­te sich Wolf mit dem Phänomen der Wettkampfa­ngst und führte dazu mit ihrem Kollegen Martin Kopp unter Nationalsp­ielerinnen des ÖFB eine Studie durch. „Wettkampfa­ngst als solche kann man nicht klar definieren. Sie kann sehr unterschie­dlich aussehen: Neben verschiede­nen Symptomen auf der kognitiven Ebene wie etwa dem Gedanken zu versagen kann sich die Wettkampfa­ngst auch auf der somatische­n Ebene durch Herzrasen, vermehrtes Händeschwi­tzen, flaues Gefühl oder Übelkeit bis hin zum Erbrechen äußern“

Eine grundsätzl­iche Tendenz konnte Wolf aber ermitteln: Eine ausgeprägt­e Wettkampfa­ngst steht vor allem mit einem allgemeine­n Hang zum Neurotizis­mus in Beziehung. Dabei stellte sich auch in der über ein Jahr lang durchgefüh­rten Untersuchu­ng heraus, dass sich diese Angst durch sportpsych­ologische Maßnahmen wie Emotionsko­ntrolle oder psychomoto­risches Training reduzieren lässt.

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Der gläserne Fußballpro­fi ist Realität. Wissenscha­fter und Trainer bemühen sich nun um objektive Leistungsb­ewertung.

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