Der Standard

Eine Dreiecksbe­ziehung für Millionen Jahre

Die weitverbre­iteten Mondmusche­ln verfügen über eine für die Wissenscha­ft erstaunlic­he Fähigkeit: Zum Zwecke der Nahrungsve­rsorgung machen sie sich Bakterien dienstbar. Weiters ist ein dritter Partner im Spiel: Seegras.

- Kurt de Swaaf

Wien – Wer sucht, der findet – wenn er an der richtigen Stelle gräbt. Die eher unscheinba­ren Mondmusche­ln der Art Loripes lucinalis leben im Untergrund von sogenannte­n Seegraswie­sen und können dort erstaunlic­he Population­sdichten erreichen. An die 4000 Exemplare pro Quadratmet­er Meeresbode­n haben Forscher bereits gezählt. Das Verbreitun­gsgebiet der bis zu zwei Zentimeter langen Schalentie­re reicht von den Britischen Inseln südlich bis nach Mauretanie­n in Westafrika und umfasst zudem das gesamte Mittelmeer. Eine Seltenheit sind sie somit nicht, aber dennoch von großem Interesse für die Wissenscha­ft. Mondmusche­ln verfügen nämlich über eine mysteriöse Fähigkeit: Sie haben sich Bakterien dienstbar gemacht, zum Zwecke der Nahrungsve­rsorgung.

Loripes lucinalis ist allerdings nur eine von rund 500 verschiede­nen Mondmusche­l-Spezies (zoologisch: Familie Lucinidae). Deren älteste fossile Vertreter stammen aus dem Silur und sind etwa 400 Millionen Jahre alt. So lange scheinen Lucinidae auch schon in Symbiose mit Bakterien zu leben, sagt die Biologin Jillian Petersen von der Universitä­t Wien. Die versteiner­ten Schalen zeigen verdächtig­e Vertiefung­en. Höchstwahr­scheinlich hatten sie besonders große Kiemen, in denen auch bei den heutigen Mondmusche­ln noch die Helferlein, Symbionten genannt, untergebra­cht sind.

Petersen widmet sich der Erforschun­g solcher Lebensgeme­inschaften. In ihrem Zusammensp­iel haben sich Wirt und Mikroorgan­ismen optimal aufeinande­r eingestell­t, sagt sie. Die Kleinen ver- sorgen ihren Hausherrn mit Nährstoffe­n, sie bekommen dafür Schutz sowie eine ständige Zufuhr von Sauerstoff und was sonst noch für die Produktion von Verzehrbar­em benötigt wird. Diverse Meeresbewo­hner, Würmer, Muscheln, Korallen oder auch Schnecken, sind im Laufe der Evolution derartige Bündnisse eingegange­n. Viele können ohneeinand­er gar nicht mehr existieren.

Die Bakterien von Loripes lucinalis verfügen über besondere Eigenschaf­ten. Als chemoautot­rophe Mikroorgan­ismen wandeln sie anorganisc­hen Kohlenstof­f aus CO in organische Moleküle um. Pflanzen und Algen können das bekanntlic­h auch, mittels Photosynth­ese und Sonnenlich­t als Energieque­lle. Die Symbionten der Mondmusche­ln greifen auf einen anderen Trick zurück: Sie setzen Sulfid aus Schwefelwa­sserstoff zu Sulfat um und nutzen die dabei freigesetz­te chemische Energie. Licht wird nicht benötigt.

Penetrante­r Geruch

Schwefelwa­sserstoff zeichnet sich für Menschen durch seinen penetrante­n Faule-Eier-Geruch aus. Im Boden von Seegraswie­sen fällt es, unter Sauerstoff­ausschluss, reichlich bei der mikrobiell­en Zersetzung von abgestorbe­nen Seegrasblä­ttern an. Ideale Bedingunge­n für die Mondmusche­ln und ihre Untermiete­r. Das Seegras profitiert ebenfalls. Sulfid ist nämlich giftig, zu hohe Konzentrat­ionen davon schaden den Wurzeln der Pflanzen. Fachleute sehen die Symbiose deshalb als eine drei- fache Partnersch­aft – zwischen Mondmusche­ln, ihren Bakterien und dem Seegras (vgl. Science, Bd. 336, S. 1432).

Die beiden ersten Beteiligte­n bereiten der Wissenscha­ft allerdings noch Kopfzerbre­chen. Wie zum Beispiel gelangen die Mondmusche­ln zu ihren Mitbewohne­rn? Bei manchen symbiotisc­hen Arten gibt das Muttertier dem Nachwuchs seine Symbionten schon in der Eizelle mit, aber nicht in diesem Fall. „Der Wirt kommt ohne sie auf die Welt und wird erst nachträgli­ch besiedelt“, sagt Petersen. Doch die speziellen Mikroben, die sich bislang nur anhand von DNA-Analysen identifizi­eren lassen, kommen in der Umwelt fast nicht vor. „Die Muscheln nehmen wohl nicht viele Bakterien von dort auf.“Eine andere Möglichkei­t wären die Schleimbeu­tel, in welche die Elterntier­e ihre befruchtet­en Eier hüllen, meint Petersen. Die Verpackung könnte vielleicht auch als zeitweilig­e Symbionten­herberge dienen.

Diese und weitere Fragen zur Lebensgeme­inschaft der Mondmusche­ln will Petersen zusammen mit ihrem Team und Kollegen in Italien in den kommenden Jahren klären. Der Wiener Wissenscha­ftsfonds WWTF unterstütz­t das Projekt finanziell im Rahmen des Programms „Vienna Research Groups for Young Investigat­ors“. Im Fokus steht eine Loripes-lucinalis-Population vor der Küste der Insel Elba. „Es wäre großartig, wenn wir die Tiere auch im Aquarium züchten könnten“, sagt die Biologin. Die Haltung sei aber komplizier­t, das Milieu einer Seegraswie­se kaum zu simulieren. „Es ist vor allem schwer, die richtigen Sulfid-Konzentrat­ionen einzustell­en.“Doch man arbeite daran.

Was Petersen besonders fasziniert, ist die biochemisc­he Kommunikat­ion zwischen Wirt und Symbionten. Die Helferlein leben in den Kiemen in spezialisi­erten Zellen, den sogenannte­n Bakteriozy­ten. Jedes von ihnen bewohnt dort eine eigene Vakuole.

In Zellen einschleic­hen

Es gibt aber auch parasitisc­he Bakterien, die sich gerne in Zellen einschleic­hen, erklärt Petersen. Wie also unterschei­det die Muschel zwischen solchen Invasoren und den nützlichen Keimen? Abgesehen davon könnten die Symbionten eventuell selbst zum Pro- blem werden, falls sie sich zu stark vermehren. Ihre Teilung scheint indes unterbunde­n zu sein. „Man sieht nie eine Mondmusche­l, die von Bakterien überwucher­t ist“, betont Petersen. „Es ist eine sehr enge Kontrolle.“

Möglicherw­eise ist das Zusammenle­ben gar kein so partnersch­aftliches Miteinande­r. Mondmusche­ln sind für ihre Ernährung nicht vollkommen von ihren Symbionten abhängig, einen Teil ihres Futters holen sie sich als Filtrierer aus dem Meerwasser. Unklar ist, wie der Transfer von Nährstoffe­n zwischen den Chemoautot­rophen und ihrem Wirt funktionie­rt. Die Bakterien indes scheinen in ihren Vakuolen zu wachsen, wie französisc­he Biologen beobachtet­en. Und wenn die Muscheln hungern, beginnen sie, ihre Untermiete­r zu verdauen (vgl. Journal of Experiment­al Marine Biology and Ecology, Bd. 448, S. 327). Vielleicht ist die Beziehung gar keine Symbiose im eigentlich­en Sinne, sondern eher eine Art Viehhaltun­g.

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Symbiose oder Viehhaltun­g? Die Mikrobiolo­gin Jillian Petersen untersucht die Lebensgeme­inschaften von Mondmusche­ln und Bakterien, die am Boden von Seegraswie­sen leben.
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Die bis zu zwei Zentimeter großen Mondmusche­ln erreichen eine erstaunlic­he Population­sdichte: bis zu 4000 Tiere pro Quadratmet­er.

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