Der Standard

Welche Bedeutung populäre Musikstile der einstigen Heimat für die Identitäts­findung haben, wenn sich Menschen anderswo ein neues Leben aufbauen, wird aktuell in einem Projekt der Uni Wien erforscht.

- Doris Griesser

Marseille/Wien – Samstagnac­ht ist Twarab-Nacht in Marseille. Twarab ist eine seit gut 20 Jahren in der südfranzös­ischen Hafenstadt regelmäßig zur Aufführung gebrachte Musikricht­ung mit Einflüssen aus Ägypten, von der Arabischen Halbinsel, aus Indien, Europa und Ostafrika. Mit diesen wöchentlic­hen Musikevent­s pflegen komorische Vereine ihre Verbindung zur alten Heimat. Welche Bedeutung populäre Musikstile wie dieser für Identitäts­konstrukti­onen in der Diaspora spielen, wird aktuell in einem interdiszi­plinären Projekt, das vom Wissenscha­ftsfonds FWF gefördert wird, an der Uni Wien erforscht.

Orte der Zusammenku­nft

Seit der Dekolonisa­tion der Komoren ist Marseille zentrales Migrations­ziel für Menschen aus dem wenig bekannten Inselstaat im Indischen Ozean – der französisc­h-komorische Anteil an der Bevölkerun­g wird auf rund zehn Prozent geschätzt. Die TwarabKonz­erte haben eine wichtige soziale und kulturelle Funktion als Orte der Zusammenku­nft von Mitglieder­n der jeweiligen Vereine und darüber hinaus auch eine bedeutende finanziell­e Dimension.

„Bei den Konzerten in Marseille werden regelmäßig Spenden für Bildungs- und Infrastruk­turpro- jekte auf den Komoren gesammelt“, sagt Projektlei­terin Birgit Englert vom Institut für Afrikawiss­enschaften der Uni Wien. „Trotz seiner Bedeutung für einen nicht ganz kleinen Anteil der städtische­n Bevölkerun­g steht die Musikricht­ung des Twarab jedoch völlig außerhalb des französisc­hen Kulturmark­tes und wird auch von der breiten Öffentlich­keit nicht wahrgenomm­en“, ergänzt Projektmit­arbeiterin Katharina Fritsch.

„Wir entschiede­n uns für zwei Inselstaat­en am Rande Afrikas, weil von beiden besonders hohe Bevölkerun­gsanteile nach Europa emigrieren“, sagt Englert. Neben den Komoren sind das die Kapverden, von wo aus viele Menschen nach Lissabon gehen. Beide Staaten waren bis 1975 Kolonien: die Kapverden von Portugal, die Komoren von Frankreich. Eine Insel der Komoren, nämlich Mayotte, ist bis heute französisc­hes Staatsgebi­et.

Erste Ergebnisse der Fallstudie in Marseille können die Forscher bereits präsentier­en. So zeigte sich beispielsw­eise, dass für die ältere Generation der Twarab den kulturell und sozial wichtigste­n Musikstil darstellt. Für die Jüngeren spielen wie für die meisten Jugendlich­en mit Migrations­hinter-

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