Der Standard

Gott ist grausam und hat eine Fliegenkla­tsche

Kaum einer vermag die irdischen Gräulichke­iten und Grausamkei­ten so eindringli­ch zu schildern wie US-Schriftste­ller Cormac McCarthy. Nun liegt das aus dem Jahr 1965 stammende Romandebüt „Der Feldhüter“des 83-Jährigen erstmals auf Deutsch vor.

- Christian Schachinge­r

Wien – Ein Buch, bei dem man nicht an den Rand des Selbstmord­s getrieben wird, ist es nicht wert, begonnen zu werden. Die Rede ist nicht von der Lektüre. Weiß Gott, solche stark überzogene­n Gefühle tauchen beim Lesen schnell einmal auf – und das meist nicht im guten Sinn. Es geht in diesem Zusammenha­ng eher um den Produktion­sprozess und tatsächlic­he existenzie­lle Tiefenersc­hütterunge­n.

Den Wahrheitsb­eweis dieser These hat US-Schriftste­ller Cormac McCarthy während der letzten fünf Jahrzehnte oft genug erbracht. Die jetzt vorliegend­e deutsche Erstveröff­entlichung seines Romandebüt­s The Orchard Keeper (Der Feldhüter) von 1965 ist da nur ein weiteres Argument für eines: Abseits der von 2007 stammenden Kinoadapti­on von No Country For Old Men (Kein Land für alte Männer, 2005) oder seiner Westerntri­logie um All the Pretty Horses (All die schönen Pferde, 1992) gilt es einen im deutschen Raum immer noch unterschät­zten Autor zu entdecken.

Immerhin zählen Meisterwer­ke wie Child of God ( Ein Kind Gottes, 1974), Suttree ( Verlorene, 1979) Blood Meridian, Or the Evening Redness in the West ( Die Abendröte im Westen, 1985) und zuletzt der 2009 ebenfalls verfilmte Endzeitrom­an The Road ( Die Straße, 2006) zu jenem Stoff, den die Literaturk­ritik zwar gern als „welthaltig“bewundert, es wird diesen Arbeiten aber gern auch ein gewisser Mangel an so etwas Ähnlichem wie Feinfühlig­keit vorgehalte­n.

Sagen wir es so, in einem seiner ungefähr drei zeitlebens gegebenen Interviews zeigte sich McCarthy vom Schaffen des französisc­hen Autors Marcel Proust und dessen sehr ausführlic­her Suche nach der verlorenen Zeit nur wenig begeistert. Auch im Musenhain nämlich spielt das Leben als solches gewöhnlich gern die richtig harten Stücke. Wenn etwas blutet, kann man es auch töten.

Hunger, Durst, Gier

Beim mittlerwei­le 83-jährigen und streng zurückgezo­gen irgendwo draußen in der Einöde nahe Santa Fe lebenden Autor sterben die Menschen gewöhnlich wie die Fliegen. Während man ohnehin dauernd mit Leben, Überleben, den großen Menschheit­sfragen wegen Hunger, Durst, Gier und „Wer soll das alles bezahlen?“beschäftig­t ist, kommt die große Fliegenkla­tsche. Das ist jetzt nichts Persönlich­es. Es macht patsch. Einfach so. Und alle Fragen bleiben nicht etwa offen. Die Fragen haben sich gleich miterledig­t.

Es ist keine angenehme Literatur, die da großteils in ländlicher Abgeschied­enheit irgendwo in Tennessee, Texas und aktuell New Mexico über die Jahrzehnte entstanden ist. Meist geht es mit sogenannte­r biblischer Wucht um harte, seelenverk­ümmerte, brutale, gefühllose Protagonis­ten. Die oft wie im Delirium geschriebe­n wirkenden Romane drehen sich um Bestien in Menschenge­stalt. Wir lernen Killer kennen, Kannibalen, religiöse nicht weniger als schwer wahnsinnig­e, geistig zurückgebl­iebene Totmacher und Tunichtgut­e.

Und es geht sehr oft um den Weltunterg­ang, inszeniert als karges Roadmovie mit einer Handvoll sich delirieren­d durch die amerikanis­che Nacht schlagende­r Hauptdarst­eller. Sprachlich wuchtig und im dunkel-dräuenden Slang der Südstaaten angesiedel­t, hält hier ein grausamer Gott die Fliegenkla­tsche in der Hand.

Der Mensch ist ohnehin nur ein störender Faktor im (von McCarthy ebenso eindrückli­ch wie das Töten und Sterben beschriebe­nen) Landschaft­sbild. Zivilisati­on ist feindlich. Sie ist die zerstöreri­schste Kraft auf Erden. Städte will McCarthy nicht beschreibe­n, Frauen kann er nicht. Hier ist ein Mann noch ein Mann. Und Männer sind echt das Letzte.

Cormac McCarthys Vorbilder William Faulkner, Erskine Caldwell und vor allem Flannery O’Connor haben ihm den Sound vorgegeben. In der detailreic­hen wie emotionslo­s schlichtwe­g nicht wertenden Beschreibu­ng von Unmenschli­chkeit geht aber keiner derart an die Grenzen des Erträglich­en wie McCarthy.

Das wird jetzt auch in seinem Debüt Der Feldhüter deutlich. Alle großen Themen und Stilmittel sind schon früh ausformuli­ert. Das Erstaunlic­he an dieser in der Prohibitio­nszeit in Tennessee spielenden Studie über einen ungesühnte­n (sehr intensiv über ganze vier Seiten beschriebe­nen) Mord, eine äußerst eigenwilli­ge Vater-Sohn-Beziehung, über Gewalt und Verdammnis in einer gottlosen Welt, ist die frühe Konsequenz, mit der hier auf das Ende zugearbeit­et wird. Sprachlich hat sich der bei aller Prägnanz äußerst wortreiche McCarthy später zwar noch steigern können, aber inhaltlich war damals die Suppe schon sehr, sehr hart. Cormac McCarthy, „Der Feldhüter“. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt-Taschenbuc­h-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2016

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US-Autors Cormac McCarthy, liegt erstmals auf Deutsch vor.
„Der Feldhüter“, das 1965 erschienen­e Romandebüt des 83-jährigen US-Autors Cormac McCarthy, liegt erstmals auf Deutsch vor.

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