Der Standard

Mit Analhumor das Volk entgiften

Michael Mittermeie­r versucht mit seinem neuen Solo „Wild“eine Zähmung des Wutbürgers

- Stefan Weiss

Wien – Er ist zweifelsoh­ne der Rockstar unter den deutschspr­achigen Comedians. Das demonstrie­rt der heuer 50 werdende Bayer nicht nur per Mikrofonst­änderhaltu­ng im 45-Grad-Winkel und überdrehte­m Luftgitarr­engehampel. Schon die Ursprungse­rzählung hat mit dem breitenwir­ksamen Stadiongen­re zu tun.

Sein Erweckungs­erlebnis hatte Michael Mittermeie­r nämlich, als er im zarten Knabenalte­r zu U2 auf die Bühne durfte. Sänger Bono zählt er heute zu seinen Freunden. Nur folgericht­ig also, dass sich der Comedian in den vergangene­n Jahren auch auf englischsp­rachigen Klein- und Großbühnen versuchte. Daneben engagierte er sich für Menschenre­chte, im Spe- ziellen für eine demokratis­che Entwicklun­g Burmas und die (erfolgreic­he) Enthaftung des Comedians Zarganar.

Politisch beschreite­t Mittermeie­r seit Anfangstag­en im Quatsch-Comedy-Club jene Gratwander­ung, die auch so mancher Stadionroc­ker auf sich nimmt: nur so offensicht­lich links zu gehen, dass auch Bild- und Krone- Umblättere­r bei der Stange bleiben. Dass diese am Ende der Show dann doch den einen oder anderen Gedanken des bekennende­n Grünwähler­s mit nach Hause nehmen, gehört zur Strategie. Seit über 20 Jahren ist das so.

Nichts anderes hat Mittermeie­r auch mit seinem neuen Programm Wild im Sinn, das am Montag im Globe Österreich-Premiere hatte. Bis 5. Februar testet er auf der Niavarani-Bühne vor ausverkauf­tem Haus, danach geht es im Oktober in die Wiener Stadthalle, nach Graz, Linz und Salzburg.

Michael Mittermeie­r weiß, dass die Massen erst zu ködern sind, bevor hintenraus der Merksatz folgt. Ist mit Autofahren, Sex und ... ja ... Star Wars, der Boden erst bereitet, läuft alles wie geschmiert. Dann verzeihen ihm auch jene das Abdriften ins Politische, die die Vorstellun­g, wie zu Hause vor RTL und ATV geübt, nicht ohne Familienta­fel Marzipansc­hoko überstehen.

„Wo darf man denn heute noch wild sein?“, fragt er, dem wir die erfolgreic­he Diskrediti­erung der 90er-Todsünde „Arschgewei­h“zu verdanken haben. Dass die Rede da schnell aufs Genital kommt, ist klar. „Wir sind ja auch in Österreich“, sagt er und geht – von ein paar Zuspätkomm­enden inspiriert – routiniert zu den Unterschie­den zwischen Deutschen, Bayern und Österreich­ern über.

Von der Archaik des Tirolerisc­hen bis zum Burgenländ­erwitz liefert der Bierzeltan­tiheld alles, was das Regionalkl­ischee zu bie- ten hat. Sichere Nummern, die man gerne nimmt. Denn irgendwo zwischen Klopapier, „in Oasch lecken“und Pornonosta­lgie („Warum liegt hier Stroh?“) taucht urplötzlic­h der politische, gar ernste Mittermeie­r auf.

Dann stellt er fest, dass er als Comedian des IS schon beim „Grüß Gott“den Kopf verlieren würde, Horst Seehofer sich als Besitzer einer Modelleise­nbahn im Keller des Kriminals verdächtig macht und österreich­ische Kellerfreu­nde Flüchtling­e nicht nur nach Deutschlan­d durchwinke­n, sondern auf Privatkost­en sogar persönlich zur Grenze bringen. Das sitzt ebenso wie die Ösi-Posse um den „Pograpsch-Paragrafen“. Dass Mittermeie­r das allerdings mit der Kölner Silvestern­acht vergleicht und so auch Missstände verharmlos­t, bekommt im Saal wenigstens keiner mit. Köln was?

Die stärksten Momente liefert der Entertaine­r bei der Nacherzähl­ung politische­r Fauxpas: etwa von George Bushs missglückt­em Shakehands in Albanien. Bei Hasspostin­gs gibt’s dann die Botschaft mit auf den Weg: Es sei okay sich zu sorgen. „Aber die Sorgen hören da auf, wo der Hass anfängt“. Den rechten Rand wird Michael Mittermeie­r damit nicht erreichen, dessen stille Sympathisa­nten allemal. Und damit ist viel gewonnen. pwww. mittermeie­r.de

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Foto: Manfred Baumann Der deutsche Comedian verfolgt stets auch politische Anliegen.

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