Der Standard

Apfelfrühs­tück für gequälte Geister

Sie gelten als Wegbereite­r des Britpop-Booms der 1990er-Jahre. Das hätten Suede um ein Haar nicht überlebt. Jetzt veröffentl­icht die Band „Night Thoughts“. Dunkle Lieder in dunklen Anzügen.

- Karl Fluch

Wien – David Bowie, der schon wieder. Noch im Tod stiehlt er ihnen die Show. Das überrasche­nde Ableben des britischen Popstars am 10. Jänner verschlang so viel Aufmerksam­keit, dass die Veröffentl­ichung von Night Thoughts der Band Suede zwei Wochen später verhältnis­mäßig wenig Wellen schlug. Das ist insofern bemerkensw­ert, als Suede künstleris­ch in Bowies Schuld stehen. Höflich formuliert. Und bei House of Love, wenn sich an die noch jemand erinnert. Night Thoughts ist das siebente Album von Suede.

Schon als Suede 2013 nach elf Jahren Veröffentl­ichungspau­se Bloodsport­s in die Läden stellten, zog ihnen Bowie mit The Next Day, seinem ersten Album seit zehn Jahren, die Aufmerksam­keit ab.

Aber Suede können damit leben. Sie zählen zu den wichtigste­n britischen Bands der 1990erJahr­e. Der Erfolg ihres Frühwerks ebnete den Weg zum BritpopBoo­m, der Blur, Oasis, The Verve, Pulp und ein paar anderen größere und kleinere Weltkarrie­ren bescherte. Mit bittersüße­n bis ran- zigen Jungmänner­bekenntnis­sen, deren Gefühligke­it sich als tragfähige­r Gegenentwu­rf zum aggressiv abgewohnte­n Grunge amerikanis­cher Prägung erwies, erreichten Suede ihr Publikum.

Crack und Heroin

Brett Anderson, optisch eine Mischung aus Bryan Ferry und Udo Jürgens, gab diesen schmerzhaf­ten Etüden ein Gesicht.

Stereotypi­sch zerkrachte sich die Londoner Formation mit ihrem als wesentlich­en Qualitätsb­ringer eingeschät­zten Gitarriste­n Bernard Butler, und Sänger Brett Anderson gab seinerseit­s den Versuchung­en von Crack und Heroin nach. Das volle Klischee, das sich in künstleris­ch stagnieren­den Arbeiten niederschl­ug. Da wurden pro Album schon einmal zehn Studios und etliche Produzente­n strapa- ziert, aber so zieht man den Karren nicht aus dem Dreck. Vor allem der Erfolg am amerikanis­chen Markt blieb Suede verwehrt, zu Hause ist man mithilfe einschlägi­ger Medien wie des NME bald einmal für eine Woche weltberühm­t.

Night Thoughts ist nun als Spätwerk zu betrachten. Die Zutaten – Weltschmer­z, Ach und Stöhn – übersetzt Anderson nach wie vor mit sich kunstvoll überschlag­ender Stimme in treibende Songs wie Outsiders. Doch der Alltag schlägt sich auch bei jenen nieder, die, wie Anderson, das Rock-’n’Roll-Klischee überlebt haben. Anderson ist Vater geworden, das schärft den Blick, das rückt einiges zurecht, sogar in einer alten Koksbirne.

Stellenwei­se klingen Suede auf ihrem neuen Album also richtig gesund. Apfelfrühs­tück statt Nadel. Das lamentiere­nde, kränkliche Element früher Alben hat einem neuen Pragmatism­us Platz gemacht. Jetzt geht es ums Überleben. Das aber ist ein Job, der einen auch nicht jeden Tag glücklich macht. Doch zumindest für die Dauer von zwölf Liedern geben sich Suede gegenseiti­g Halt.

Das hübsche Kleid des Leids

Das Pathos, das in Form fein ziselierte­r Instrument­ierung ebenso auftaucht wie in der pompösen Produktion von Andersons Stimme, ist immer noch ein hübsches Kleid für die Verzweiflu­ng und die Verletzlic­hkeit, die dieser Musik wesensimma­nent ist. Im Versuch, ein gesamtheit­liches Album zu schaffen, haben Suede die Idee Hitsingle hintangest­ellt. Lieder wie What I’m Trying to Tell You oder Like Kids besäßen dennoch diese Qualitäten.

In diesen Stücken reduziert das angezogene Tempo das Kunstleide­rtum, Suede wirken verhalten optimistis­ch. Auf großer Distanz hat Night Thoughts dann zwar einige Längen, aber angesichts der dunklen Bilder, die allein schon der Titel beschwört, kommt das ja nicht unerwartet.

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klingt düster bis verhalten optimistis­ch. Was Kinder nicht alles anrichten.
Das Ärgste haben Suede überlebt. Jetzt geht’s ans Alterswerk. Ihr neues Album „Night Thoughts“ klingt düster bis verhalten optimistis­ch. Was Kinder nicht alles anrichten.

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