Der Standard

Verteiler von Valium fürs Volk und Grußonkel

Die Präsidents­chaftswahl rückt die Frage nach der Ausgestalt­ung des Amtes in den Mittelpunk­t. Braucht es mehr Kompetenze­n oder noch weniger? Wie das höchste Amt im Staate wahrgenomm­en wird.

- Günter Eichberger

Der grimmige Gesichtsau­sdruck, mit dem Thomas Klestil seinerzeit eine ihm nicht zu Gesicht stehende Regierung angelobt hat, scheint mir ein passender Ausdruck der Ohnmacht, die dieses repräsenta­tive Amt seinem Träger, seiner Trägerin verleiht. Das Begrüßen von hohen Staatsgäst­en, das gesittete Dinieren mit ihnen und das Halten einer von staatstrag­enden Stehsätzen durchsetzt­en Fernsehans­prache, die in erster Linie zum Wegschalte­n ermuntert, sind die vorrangige­n Aufgaben des ersten Dieners des Staates.

Können Sie sich an irgendeine politische Handlung eines der nach 1945 amtierende­n Grußonkeln erinnern, die von Belang gewesen wäre? Es ist schwer, über dieses hohe Amt, das kaum nennenswer­te Anforderun­gen stellt, keine Satire zu schreiben. Dass im Krisenfall der Bundespräs­ident, die Bundespräs­identin zugleich Oberbefehl­shaber des Heeres wäre, erfüllt mich angesichts der vermutlich­en strategisc­hen Fähigkeite­n gegenwärti­ger und zukünftige­r Amtsperson­en nicht gerade mit Zuversicht. Dass sich mögliche Aggressore­n durch begütigend­e Worte einschläfe­rn oder durch moralische Appelle zum Umdenken bewegen lassen, muss man ins Reich von Märchen und Fabel verweisen.

Statt aus abgehobene­r Position über das Weltgesche­hen und Österreich­s Beitrag dazu zu referieren, hat Bundespräs­ident Franz Jonas seinerzeit in einer vielbeacht­eten Fernsehans­prache aufgerufen, an Fitmärsche­n teilzunehm­en. Damals hat mich das befremdet, heute erscheint mir dieses bescheiden­e Anliegen als realistisc­he Einschätzu­ng der Möglichkei­ten seines Amts.

Der Bundespräs­ident ist im Wesentlich­en eine Spielfigur für Robert Musils „Möglichkei­tssinn“. Er könnte den Bundeskanz­ler und die gesamte Bundesregi­erung entlassen, tut das aber nicht, vermutlich weil ihm die schiere Möglichkei­t genügt. Denn die Wirklichke­it ist ja nur eine Spielart der Möglichkei­t. Außerdem steht er über den Parteien, so weit, dass noch nie jemand diese Position erlangt hat, der nicht fest in einer Partei verankert gewesen wäre und im Wahlkampf deren organisato­rische Unterstütz­ung gehabt hätte.

Seine Autorität ist vor allem eine symbolisch­e. Das stellt hohe moralische Ansprüche, die aber eher einem Amtsverstä­ndnis gelten als einer konkreten Person. Er ist oberster Repräsenta­nt der repräsenta­tiven Demokratie, in der alle ihre Stimme abgeben, damit andere mit ihr sprechen. Der Präsident tut das salbungsvo­ll bis zur unfreiwill­igen Parodie. Valium fürs Volk.

Angeblich handelt es sich um einen Persönlich­keitswahlk­ampf, und doch heften sich die Parteien einen Sieg ihres Kandidaten, ihrer Kandidatin an ihre Fahnen. Bei Staatsbesu­chen könnten Außenminis­ter oder Bundeskanz­ler die Agenden des höchstbeza­hlten Grußonkels übernehmen. Es dürfte sie nicht so überanstre­ngen, dass ihre sonstigen Tätigkeite­n darunter leiden.

GÜNTER EICHBERGER, geboren 1959, lebt als freier Schriftste­ller in Graz.

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Foto: Oswald Schechtner Eichberger: Nur Aufrufe zu Fitmärsche­n sind realistisc­h.

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