Der Standard

Demokratie in Fetzen

Dem Bundespräs­identen sollten weitere Kompetenze­n zugesproch­en werden

- Rudolf Zitta

Nach unserer Verfassung ist Österreich eine Demokratie. Auch in Verfassung­en diktatoris­cher Staaten steht das geschriebe­n. Trotzdem ist es in der Wirkung nicht dasselbe. Papier ist geduldig. Seit vielen Jahren wird über das Amt des Bundespräs­identen, gemäß der Verfassung das höchste, diskutiert. Mit der bevorstehe­nden Wahl eines neuen Bundespräs­identen heuer haben sich die Diskussion­en vermehrt. Von der Aufwertung über die Reduzierun­g der Kompetenze­n bis zur gänzlichen Abschaffun­g ist alles zu finden.

Doch der Idee unserer Verfassung wird das nicht gerecht. Dem Bundespräs­identen als höchstem Organ sollten weitere Kompetenze­n zukommen, wo immer ein Bedarf nach unabhängig­er, höherer Kontrolle besteht. Deshalb – als Beispiele:

1. Die Gesetze, Staatsvert­räge, Vereinbaru­ngen zwischen dem Bund und den Bundesländ­ern sowie Verordnung­en sollten nicht mehr am Tage ihrer Veröffentl­ichung in Kraft treten dürfen, weil das dem Grundsatz der Demokratie widerspric­ht und ein Missbrauch ist, sondern erst einen Monat danach. Die Bürgerinne­n und Bürger müssen die Zeit bekommen, sich über das neue Recht zu informiere­n, sonst wäre es bloß ein Fetzen Papier. Und die Titel aller neuen Rechtsnorm­en müssten laufend in den wichtigste­n Zeitungen auf Kosten des Bundes abgedruckt werden.

Der Bundespräs­ident sollte ermächtigt werden, über einen Antrag des Nationalra­ts eine Norm ausnahmswe­ise früher in Kraft treten zu lassen, wenn dafür eine besondere Dringlichk­eit bestünde, die nicht durch eine vermeidbar­e Verzögerun­g des Gesetzgebu­ngsablaufs stattgefun­den hätte.

2. Wesentlich ist, dass dem Bundespräs­identen immer dann eine besondere Ermächtigu­ng erteilt wird, wo es um die Beseitigun­g von Missstände­n geht. Ein Missstand ist es auch, wenn Ge- setze so umständlic­h und unübersich­tlich formuliert werden, dass sie selbst von durchschni­ttlich gebildeten Bürgern nicht ohne weiteres verstanden werden können. Der Bundespräs­ident müsste ermächtigt werden, einen Fachmann oder eine Fachfrau zu ernennen, der/die gemeinsam mit dem Nationalra­t einen gut verständli­chen Text ausarbeite­n soll, der zum Recht wird. Sonst erweist sich der demokratis­che Grundsatz als ein Fetzen Papier.

3. Dem Bundespräs­identen sollte das Recht eingeräumt werden, gegen Gesetze mit verfassung­srechtlich­en Einzelbest­immungen ein unaufschie­bbares Veto einzulegen. Der Nationalra­t dürfte dann den Verfassung­sgerichtsh­of anrufen, der über die Notwendigk­eit und Verfassung­smäßigkeit der Sonderbest­immung entscheide­n müsste.

4. Der Bundespräs­ident sollte gegen Rechtsnorm­en mit mehr als fünf Änderungen im Vergleich zur bisherigen Fassung ein Veto einbringen dürfen, welches dann gesetzlich nicht umgangen werden dürfte.

5. Wo immer die Gesetzgebu­ng, auch die der Bundesländ­er, zu Missbräuch­en führt, soll eine ergänzende Vetomacht des Bundespräs­identen eingeführt werden.

RUDOLF ZITTA war als Rechtsanwa­lt in Salzburg tätig.

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Foto: Matthias Cremer Wege sind lang in der Hofburg – wie auch die der Gesetzgebu­ng.

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