Der Standard

Clinton und die Romney-Falle

Trotz gewonnener Vorwahl in Iowa ist die Ex-Außenminis­terin keine Favoritin mehr

- Gianluca Wallisch

Der Weckruf von Iowa war laut, er war schrill, und er war unüberhörb­ar: „Hallo, ihr abgehobene­n Kandidaten! Willkommen im echten Leben! Ihr müsst euch viel mehr anstrengen, wenn ihr unsere Stimmen wollt! Und wir sind wirklich, wirklich viele!“

Die amerikanis­chen Wählerinne­n und Wähler von 2016: Das sind, so sieht man nun offiziell, in sehr großem Ausmaß Bürgerinne­n und Bürger, die den Politikern – egal ob sie aus der demokratis­chen oder aus der republikan­ischen Ecke kommen – nicht mehr vertrauen; die nicht mehr an eine verheißung­svolle Zukunft glauben; die davon überzeugt sind, dass die USPolitik irgendwann in den vergangene­n Jahren falsch abgebogen ist und sich heillos verrannt hat; die sich abwenden von Mächten und Eliten; oder die ganz einfach nur einen sicheren Job wollen, mit dem sie ihre Familie über die Runden bringen können.

Der Weckruf gilt – mehr, als es ihr lieb sein kann – vor allem Hillary Clinton. Noch vor wenigen Monaten hat die ehemalige First Lady und Außenminis­terin als bombensich­erer Tipp für die Kandidatur der Demokraten gegolten. Als bei den Republikan­ern dann Donald Trump auf den Plan trat, wähnte man sich selbstgefä­llig schon im Weißen Haus. Danke, Leute, das wird ein Durchmarsc­h! Weit gefehlt. Clinton kam nur ein paar Zehntelpun­kte vor Bernie Sanders zu liegen. Dass ihr Kontrahent stark sein würde, war klar; dass er nunmehr aber direkt auf Augenhöhe um Stimmen kämpfen kann, kommt psychologi­sch einer Niederlage gleich. Von einer „g’mahten Wies’n“konnte im flachen MidwestSta­at keine Rede sein. an mag einwerfen, dass Iowa nicht repräsenta­tiv für die Gesamtheit der USA ist; demografis­ch ist der Staat ruraler, weißer, älter und religiöser als der Durchschni­tt der Nation. Stimmt. Doch dieses Argument gilt heute nur für den Erzkonserv­ativen Ted Cruz, der bei den Republikan­ern Trump besiegte.

Clinton dagegen muss eine gänzlich anders gelagerte Fehleranal­yse anstellen. Sie weiß mit Sicherheit, dass sie, genauso wie Jeb Bush & Co, als Teil des oft verhassten Establishm­ents gilt. Das Amerika der kleinen Leute, das Amerika der Jungen und das Amerika der Linken – all das kann der 74-jährige Sanders viel besser und glaubwürdi-

Mger bedienen als die Karrierepo­litikerin Clinton. Das muss ihr zu denken geben – und das tut es.

Trump mag in Iowa zwar teilweise entzaubert worden sein, doch von allen Kandidaten hat sicher Clinton die schwierigs­te Aufgabe zu meistern. Sie muss – und zwar glaubwürdi­g – weit nach links rücken und sich auf die Jugend zubewegen, um Sanders auf sichere Distanz zu bringen. Doch dabei droht sie in die gleiche Falle zu tappen wie der Republikan­er Mitt Romney – freilich unter entgegenge­setzten Vorzeichen: Der spuckte im Wahljahr 2012 plötzlich so reaktionär-konserva- tive Töne, dass ihn seine vergleichs­weise moderaten Anhänger kaum wiedererka­nnten. Nach dem gewonnenen Parteitag schaffte er dann aber nicht mehr den rhetorisch­en Spagat, die Unentschie­denen abzuholen. Er verlor, wie bekannt, haushoch gegen Amtsinhabe­r Barack Obama.

Clinton steht vor einem ähnlichen Dilemma: Sie muss bei Sanders’ unerwartet großer Anhängersc­haft punkten und sich gleichzeit­ig jene sichern, die Richtung Republikan­er abwandern könnten und weniger Berührungs­ängste mit der althergebr­achten, elitären Machtpolit­ik haben.

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