Der Standard

Vorstellun­gen zu Syrienhilf­e klaffen auseinande­r

Spendenmil­liarden sollen helfen, Flüchtling­e aus Syrien in der Region mit dem Nötigsten zu versorgen und so an der weiteren Flucht nach Europa zu hindern. Vertreter von 70 Staaten trafen einander am Donnerstag in London, um das Vorgehen zu koordinier­en. D

- Sebastian Borger aus London

An der Dramatik der Lage gibt es keinen Zweifel: Die Anrainerst­aaten Syriens sehen sich durch die Millionen von Flüchtling­en aus dem bürgerkrie­gsgeplagte­n Land einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber. Und auch dort kippt zunehmend wegen der hohen Flüchtling­szahlen die Stimmung. König Abdullah befürchtet einen „Dammbruch“in Jordanien, in dem die Syrer inzwischen 20 Prozent der Bevölkerun­g ausmachen.

Der türkische Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu sieht nach der jüngsten Bombardier­ung Aleppos weitere hunderttau­sende Menschen auf sein Land zukommen; schon jetzt seien 70.000 unterwegs, sagte er (siehe unten links). Doch bei der Geberkonfe­renz in London stellte sich am Donnerstag heraus: Über die notwendige Großzügigk­eit der Weltgemein­schaft gehen die Vorstellun­gen weit auseinande­r.

Das nach Queen Elizabeth II benannte Kongressze­ntrum im Bru- tal-Betonstil der 1970er-Jahre steht gegenüber der Westminste­r Abbey, praktisch im Schatten des britischen Parlaments. Auf die Zusammenku­nft der Delegierte­n aus mehr als 70 Ländern, darunter mehr als 35 Staats- und Regierungs­chefs, fiel der Schatten der Nachrichte­n aus Genf: Die gerade erst begonnenen Gespräche zwischen den Konfliktpa­rteien sind für mindestens drei Wochen, also bis zum 25. Februar, „vorläufig unterbroch­en“, wie der UN-Syrienbeau­ftragte Staffan de Mistura in der Nacht zum Donnerstag einräumen musste. Eine politische Lösung, von der viele Redner in London hoffnungsv­oll sprachen, ist also in weiter Ferne.

Umso wichtiger sind die konkreten Initiative­n, über die bera- ten wurde: Sie reichen von mehr Schulen über zusätzlich­e Ausbildung­splätze für Jugendlich­e bis hin zu neuen Arbeitsplä­tzen für die Vertrieben­en – aber auch für die einheimisc­he Bevölkerun­g der regionalen Aufnehmers­taaten Türkei, Libanon, Jordanien und Ägypten. Außerdem soll humanitäre Hilfe die hungernden und frierenden Menschen auf der Flucht erreichen.

Österreich beeindruck­t wenig

An den Beträgen lässt sich die Dringlichk­eit des Flüchtling­sproblems ablesen. US-Außenminis­ter John Kerry stellte 825 Millionen Euro für humanitäre Soforthilf­e in Aussicht, Gastgeber David Cameron nannte als britischen Beitrag bis 2020 1,56 Mil- liarden Euro. Auch Frankreich und Deutschlan­d machten Milliarden­zusagen (siehe rechts unten). Davon sollen 1,2 Milliarden Euro allein in diesem Jahr syrischen Flüchtling­en zugutekomm­en; eine Milliarde geht an die UN-Hungerhilf­e WFP, 200 Millionen fließen in ein Beschäftig­ungsprogra­mm, das kurzfristi­g einer halben Million Menschen Lohn und Brot verschaffe­n soll.

Österreich­s Kanzler Werner Faymann machte mit den bisher geleistete­n 38 Millionen Euro wenig Eindruck; Das Geld sei – so wie die versproche­nen weiteren 60 Millionen – aber „gut investiert“, betonte er beim Treffen: „Wenn es Perspektiv­en gibt, begeben sich weniger Menschen auf die gefährlich­e Reise nach Europa.“

Außerhalb des Plenarsaal­s trafen sich derweil Experten und interessie­rte Minister zu themenzent­rierten Beratungen. Der frühere britische Außenminis­ter David Miliband, heute Leiter des USHilfswer­ks IRC, sowie Hedgefonds-Milliardär George Soros gehörten zu den zahlreiche­n prominente­n Zuhörern bei einem Vortag des deutschen Entwicklun­gshilfemin­isters Gerd Müller.

Man dürfe „nicht nur auf die Genfer Verhandlun­gen starren“, sagte der CSU-Politiker, der erst vergangene Woche in der Region Dohuk im Nordirak zu Gast war. „Es gibt bereits befriedete Regionen. Für die brauchen wir einen Marshallpl­an.“

Als Koordinato­r versuchte Müller den zuständige­n EU-Kommissar Johannes Hahn zu gewinnen, der aber dankend ablehnte. „Die EU-Kommission hat wieder enttäuscht“, sagte Müller deshalb dem Standard. „Der Brüsseler Haushalt muss umgeschich­tet werden, schließlic­h wird uns dieses Problem noch auf Jahre hinaus beschäftig­en.“

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