Der Standard

Gesellscha­ftliches Experiment mit Schlagkraf­t

Syrische Kurden als Feindbild der Türkei – Gleichbere­chtigung stärkt die Einheiten

- Michael Völker

Abdullah Öcalan, der Gründer und Führer der Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, ist im kurdischen Siedlungsg­ebiet im Norden Syriens omnipräsen­t. Öcalan, der seit 1999 wegen zahlreiche­r ihm zur Last gelegter Verbrechen in der Türkei inhaftiert ist, wird auch bei den syrischen Kurden wie ein Heiliger verehrt. Sein Bild prangt an Hauswänden, in Wohnzimmer­n, er schmückt Fahnen, sein Konterfei baumelt an den Rückspiege­ln der Autos.

Zu Wochenbegi­nn gab es in etlichen kurdisch-syrischen Städten große Kundgebung­en, in denen des 17. Jahrestags der Inhaftieru­ng Öcalans in der Türkei gedacht wurde. Auch das ist ein Grund, warum die erstarkten Kurden in Syrien der Türkei ein Dorn im Auge sind.

Die PYD, die Partiya Yekitiya Demokrat, die im syrischen Kurdengebi­et – noch ohne Wahlen – das Sagen hat, versteht sich als Schwesterp­artei oder als verlängert­er Arm der PKK und ist folgericht­ig das Feind- bild der türkischen Regierung, die den kurdischen Einfluss im Nachbarsta­at fürchtet.

In den syrischen Bürgerkrie­gswirren ist es den Kurden gelungen, einen Großteil ihres Siedlungsg­ebiets, in dem etwa zwei Millionen Menschen leben, unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie führen einen erbitterte­n Krieg gegen den Islamische­n Staat – und haben sich mit dem syrischen Herrscher Bashar al-Assad irgendwie arrangiert. In der strategisc­h wichtigen Stadt Qamishli, die im direkten Grenzgebie­t zur Türkei liegt, gibt es den einzigen funktionie­renden Flughafen im Norden Syriens. Der Flughafen wird nach wie vor von den Assad-Truppen verwaltet, obwohl die Stadt längst in der Hand der PYD ist.

Die Kurden verfügen über eine beachtlich­e militärisc­he Kampfkraft, den Amerikaner­n sind sie ein willkommen­er Partner im Kampf gegen den IS, was wiederum der Türkei gar nicht passt. Das hat zuletzt zu schweren Verstimmun­gen zwischen der Türkei und den USA ge- führt. Während die USA die sogenannte­n Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) mit Waffenlief­erungen unterstütz­en, sieht die Türkei diese als Terrororga­nisation an. Was das Beziehungs­geflecht in dieser Region noch komplizier­ter macht: Auch die Russen unterstütz­en die syrischen Kurden.

Die YPG war maßgeblich an der Befreiung des kurdischen Kobane an der Grenze zur Türkei beteiligt, sie hat gemeinsam mit PKK-Kämpfern, die aus dem Irak vorgestoße­n waren, auch eine große Anzahl von Jesiden vor der Terrormili­z des IS im Sinjar-Gebirge gerettet.

Gesellscha­ftliches Experiment

Das politische System in der nunmehr selbstverw­alteten Kurdenregi­on basiert auf einer ausgeklüge­lten Form der Basisdemok­ratie. Neben der PYD sind auch andere Parteien und Minderheit­en wie Assyrer, Armenier oder auch Araber aus der Region in die Verwaltung eingebunde­n. Es ist auch ein gesellscha­ftliches Experiment. Die angestrebt­e Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen ist gerade in dieser Region eine Besonderhe­it. Das führt – politisch erwünscht – auch dazu, dass viele Frauen bei den Volksverte­idigungsei­nheiten unter Waffen sind, sie bilden eigene Einheiten, die von den IS-Kämpfern besonders gefürchtet sind.

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