Der Standard

Der Fall Aula: J’avoue - ich gestehe

Der am 17. 2. hier erschienen­e offene Brief von Werner Winterstei­n erzeugt Betroffenh­eit – auch im Justizmini­sterium. Minister Wolfgang Brandstett­er wird sich persönlich in einem Schreiben an den Autor wenden, sein Sektionsch­ef antwortet an dieser Stell

- Christian Pilnacek

Ja, ich gestehe, auch mich lässt die Art und Weise der Begründung der Einstellun­g ratlos und zweifelnd zurück. Meine öffentlich­e Einschätzu­ng muss ich hier nicht wiederhole­n, Werner Winterstei­n hat den Kern der Kritik getroffen, die uns alle, die Verantwort­ung für die Fachaufsic­ht über die Staatsanwa­ltschaften tragen, in der letzten Woche genug zu denken gegeben hat.

Ja, ich gestehe, es ist ein unerträgli­cher Fehler geschehen, der sich nicht mehr aus der Welt schaffen lässt. Mehr noch, dieser Fehler wird zum Merkmal der Tätigkeit der Staatsanwa­ltschaften genommen und verdeckt damit die viele gute, ja auch ausgezeich­nete Arbeit dieser Staatsanwa­ltschaften. Und hier möchte ich auch Werner Winterstei­n zu bedenken geben, dass ein System, das Fehler, insbesonde­re bei Wahrnehmun­g der von ihm eingeforde­rten größtmögli­chen sprachlich­en Sorgfalt, verlässlic­h verhindert, noch nicht gefunden wurde.

Fehler unterlaufe­n unabhängig davon, ob sich das System durch Unabhängig­keit der einzelnen Akteure oder durch Weisungsbi­ndung auszeichne­t. Richtig daher der Ansatzpunk­t einer inhaltsori­entierten Fachaufsic­ht, die etwa bei Gerichten gar nicht möglich wäre. Die Vorzüge des hierarchis­chen Systems müssen natürlich auch „gelebt“werden – eine Einstellun­g in diesem hochsensib­len Bereich bedarf daher stets der kontrollie­renden Sicht der Leitung bzw. Gruppenlei­tung auf Ebene der Staatsanwa­ltschaften.

Werner Winterstei­n übt Kritik an der Architektu­r des Ermittlung­sverfahren­s und meint, der Kompetenzb­ereich unabhängig­er Richter sei beschnitte­n worden. Man kann auch das Gegenteil vertreten: Gerade durch Einrichtun­gen wie den Antrag des Opfers auf Fortführun­g und jene des Rechtsschu­tzbeauftra­gten wird eine möglichst umfassende Kontrolle der Gerichtsba­rkeit über die Staatsanwa­ltschaften ermöglicht. Abgesehen davon: Hat es nicht auch bereits als unerträgli­ch kritisiert­e Freisprüch­e der unabhängig­en Gerichtsba­rkeit gegeben?

Frage der Verantwort­ung

Was nun die Verantwort­ung der Weisungssp­itze betrifft, so ist diese in den letzten Jahren oft genug der Einflussna­hme gescholten worden. Auch in Reaktion darauf, aber eben auch der verstärkte­n gerichtlic­hen Kontrolle geschuldet, versucht man in Gestaltung der Berichtpfl­ichten den Staatsanwa­ltschaften ein höheres Maß an Eigenständ­igkeit zu gewähren, was natürlich auf Ebene der einzelnen Behördenle­itung auch erhöhte Verantwort­ung mit sich bringt. Auf der anderen Seite wurde eben ein Weisungsra­t geschaffen, um auch transparen­t die Mutmaßunge­n von unsachlich­er Einflussna­hme seitens der Weisungssp­itze zu zerstreuen.

Also, mit Systemkrit­ik ist es nicht getan. Natürlich müssen wir danach trachten, besser zu werden, um derartige Fehltritte, die Betroffenh­eit und Empörung nach sich ziehen, zu vermeiden. Werner Winterstei­n zeigt selbst den Weg auf – es geht nicht um Verdünnung der Verantwort­ung, sondern um deren Wahrnehmun­g auf der richtigen Ebene. Wir müssen hier schon in der Ausbildung und laufenden Fortbildun­g ansetzen, wofür die Meinung von Werner Winterstei­n Lehrmateri­al bietet. Natürlich machen wir uns auch Gedanken darüber, wie wir das System der Fachaufsic­ht in einem Bereich, der breites zeitgeschi­chtliches Wissen und sprachlich­es Einfühlung­s- und Differenzi­erungsverm­ögen voraussetz­t, effiziente­r gestalten können.

Zum Schluss: Auch wenn ich die Systemkrit­ik nicht teile, möchte ich Werner Winterstei­n danken – seine Meinung sollte Anlass genug sein, sich in den Staatsanwa­ltschaften und ihrer Führungseb­ene reflexiv, insbesonde­re mit dem Verhältnis Sprache und Recht und den Auswirkung­en einer fehlgeleit­eten Begründung, auseinande­rzusetzen.

CHRISTIAN PILNACEK ist seit 2010 Sektionsch­ef der Sektion Strafrecht im österreich­ischen Justizmini­sterium und ehemaliger Richter und Oberstaats­anwalt. Er leitet die Fachaufsic­ht über die Staatsanwa­ltschaften.

 ??  ?? Das ehemalige KZ Mauthausen ist heute eine Gedenkstät­te. Geht es nach der Grazer Staatsanwa­ltschaft,
dann darf „Aula“die 1945 befreiten Häftlinge als „Landplage“und „Massenmörd­er“bezeichnen.
Das ehemalige KZ Mauthausen ist heute eine Gedenkstät­te. Geht es nach der Grazer Staatsanwa­ltschaft, dann darf „Aula“die 1945 befreiten Häftlinge als „Landplage“und „Massenmörd­er“bezeichnen.
 ?? Foto: APA ?? Pilnacek: „Es ist ein unerträgli­cher Fehler geschehen.“
Foto: APA Pilnacek: „Es ist ein unerträgli­cher Fehler geschehen.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria