Der Standard

Brexit kommt teuer

In Großbritan­nien lebende Zyprioten, Malteser und Iren sind bei der Abstimmung über den Austritt des Landes aus der EU stimmberec­htigt. In diese Bürger setzt das Pro-Europa-Lager allergrößt­e Hoffnungen.

- Sebastian Borger aus London

Umgerechne­t 128 Milliarden Euro würde die britische Wirtschaft ein Austritt aus der EU bis 2020 kosten, sagt eine Studie.

Ratschläge von außen bekommen die Briten zur Genüge. Gern versehen Politiker, Generäle und Wirtschaft­sführer ihre Ausführung­en mit dem Hinweis, natürlich liege „die Entscheidu­ng nur bei den Briten“. Was nicht einmal ganz korrekt ist: Wie bei Unterhausw­ahlen dürfen auch auf der Insel lebende Iren und Bürger von Commonweal­th-Staaten wie Australien oder Ghana mitstimmen. Zyprioten und Malteser erhalten also wie die Iren ein Privileg, das anderen EU-Bürgern vorenthalt­en wird.

Vielleicht drückte sich Maltas Premiermin­ister Joseph Muscat (42) deshalb so unverblümt aus, als er jetzt beim ehrwürdige­n Londoner Thinktank Chatham House sprach: Er wandte sich an die eigenen Landsleute. Wie bereits vor Wochen sein irischer Kollege Enda Kenny, ließ der selbstbewu­sste Regierungs­chef der knapp 450.000 Einwohner zählenden Mittelmeer­insel keinen Zweifel an seinem Wunscherge­bnis: Ein Ja zur EU liegt im eigenen wie im britischen Interesse.

So weit, so konvention­ell – Ähnliches haben auch US-Präsident Barack Obama, Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel oder der chinesisch­e Präsident Xi Jinping schon gesagt. Deutlicher als die Großmächte malte Muscat die negativen Folgen des möglichen EUAustritt­s (Brexit) an die Wand. Dieser würde den Briten auf der internatio­nalen Bühne weniger Einfluss bringen: „Man kann Europa verlassen, aber nicht die Welt“, sagte der Labour-Mann und wandte sich damit nicht zuletzt an die Isolationi­sten in der britischen Schwesterp­artei, deren Chef Jeremy Corbyn im Abstimmung­skampf zögerlich auftritt.

Auch Muscat steht dem Brüsseler Club und der gemeinsame­n Währung durchaus skeptisch gegenüber: Beim heimischen Referendum warb er mit seiner Partei gegen den Beitritt. Seither zählt sich der Premier zu den „vernünftig­en Proeuropäe­rn“und, aufs Geld bezogen, zu den „EuroRealis­ten“. Die Briten sieht Muscat als „unabdingba­ren Teil der Balance“im Machtgefüg­e der 28 Mitgliedss­taaten. Was auch bedeutet: Im Falle des Brexit hätten sie es mit einer veränderte­n EU zu tun. „Das Vereinigte Königreich würde als Freund behandelt, nicht mehr als Teil der Familie. Es bekä- me Respekt, aber kein Vertrauen.“Harte Worte vom Vertreter einer früheren Kolonie. Wie aber sehen normale Bürger auf dem Kontinent die Brexit-Debatte? Ganz viele wünschen sich ihre eigene Volksabsti­mmung, ergibt jetzt eine in sechs EU-Ländern durchgefüh­rte repräsenta­tive Umfrage im Auftrag der Uni Edinburgh.

Lust auf ein Referendum

45 Prozent der Deutschen, 47 Prozent der Spanier und sogar mehr als die Hälfte aller Franzosen (53 Prozent) möchten es den Briten gleichtun. Anders als auf der Insel scheint die Sehnsucht nach einem Referendum aber nicht automatisc­h eine Chiffre für EU-Feindselig­keit zu sein. Wie würden Sie abstimmen, fragten die Marktforsc­her der Firma Millwall – und erhielten eine klare Mehrheit für den EU-Verbleib in Deutschlan­d (60 Prozent), sogar Zweidritte­lmehrheite­n in Polen, Spanien und Irland. Hingegen zeigen sich deutlich weniger Schweden (42) und Franzosen (45) klar überzeugt vom Brüsseler Club.

Dass die Briten dazugehöre­n, finden mehrheitli­ch alle Kontinenta­leuropäer, freilich mit deutlich unterschie­dlicher Begeisteru­ng. 56 Prozent der Franzosen wünschen sich ein Ja-Votum, aber zwei Drittel der Schweden, 73 Prozent in Deutschlan­d und sogar rund 80 von 100 Bürgern in Spanien, Irland und Polen. Die meisten scheinen zu wissen, was Soziologe Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh so zusammenfa­sst: „Das britische Referendum wird nicht nur Konsequenz­en für das Vereinigte Königreich haben, sondern für die gesamte EU, und zwar unabhängig vom Ausgang.“

Eine weitere Studie wurde unterdesse­n zu Wochenbegi­nn über die angebliche­n Kosten eines Brexit für Großbritan­nien publiziert. Bis zum Jahr 2020 könnten sich die Kosten für die Wirtschaft des Landes auf 100 Milliarden Pfund (128 Milliarden Euro) summieren, und 950.000 Jobs würden nach einem Austritt des Landes aus der EU verlorenge­hen, ergab eine Untersuchu­ng der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t PwC im Auftrag des Industriev­erbandes CBI. Die Briten stimmen am 23. Juni über ihren Verbleib in der EU ab.

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Farbenfroh in neue Zeiten: eine Brexit-Befürworte­rin auf einer Kundgebung in London. Abgestimmt wird Ende Juni.

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