Der Standard

Libyens Einheitsre­gierung findet nicht aus der Sackgasse

Premier Fayed al- Sarraj braucht das Vertrauen des Parlaments in Tobruk – Reformen müssen warten

- Astrid Frefel

Tobruk/Tripolis/Kairo – Auch der Fahrer eines Rettungswa­gens müsse im Notfall ohne Führersche­in fahren dürfen – mit diesem eingängige­n, bildhaften Vergleich umschreibt Martin Kobler, der Uno-Gesandte für Libyen, das politische Dilemma des Landes. Die nach zähen Verhandlun­gen unter Uno-Vermittlun­g gebildete Einheitsre­gierung von Premier Fayed al-Sarraj kann ihre Arbeit nicht aufnehmen, weil das internatio­nal anerkannte Parlament in Torbruk seit Wochen kein Quorum für ein Vertrauens­votum zustande bringt.

Anhänger von General Khalifa Haftar betreiben gezielte Obstruktio­n. Haftar will seinen Feldzug gegen islamistis­che Extremiste­n in Bengasi ungestört fortsetzen können. In den vergangene­n Wochen war es seinen Truppen gelungen, zumindest mehrere Stadtteile zu befreien.

Drei machtlose Regierunge­n

Faktisch hat Libyen derzeit drei Regierunge­n: je eine in Tobruk, eine in Tripolis – und eine im benachbart­en Ausland: in Tunis. Und keine kann effektiv arbeiten.

Zentralban­k und Nationale Ölgesellsc­haft werden von den konkurrier­enden Kräften aufgeriebe­n. Die Versorgung wird in allen Landesteil­en immer schlechter, die Preise steigen – und vor allem die hunderttau­senden intern Vertrie- benen leben in unzumutbar­en Verhältnis­sen.

Jetzt mehren sich Stimmen, die vorschlage­n, auf eine formelle Vertrauens­abstimmung zu verzichten, wie sie die das ShkiratAbk­ommen vorsieht, das im vergangene­n Dezember geschlosse­n wurde. Die Begründung: Die Zeit dränge, das Kabinett von Fayaz alSarraj müsse endlich konkret mit der Überwindun­g der Spaltung des Landes beginnen können. Sie stützen sich auf eine Unterschri­ftenliste von etwa 100 Abgeordnet­en – bei einigen Namen wird die Echtheit allerdings angezweife­lt –, die auf diesem Weg Sarraj ihr Vertrauen ausgedrück­t haben.

In einem aktuellen Bericht zeichnet ein Uno-Expertenpa­nel ein düsteres Bild: Das Sicherheit­svakuum stärke den „Islamische­n Staat“(IS). Bandenkrim­inalität, Rechtsverl­etzungen, Zusammenst­öße zwischen Milizen, fortgesetz­te regionale Einmischun­g, regelmäßig­er Waffenhand­el nach und von Libyen und die anhaltende Bezahlung der Milizen durch die öffentlich­e Hand – auch jener, die den Friedenspl­an unterlaufe­n und solcher, die Beziehunge­n zu terroristi­schen Gruppen haben – haben Libyen faktisch unregierba­r gemacht.

Verweigeru­ng des Dialogs

Das Panel identifizi­ert auch Gruppen und Einzelpers­onen, die den politische­n Dialog verweigern, allen voran die Führung des nicht anerkannte­n Parlaments in Tripolis. Seit Oktober 2015 habe aber zunehmend auch die Spitze des internatio­nal legitimier­ten Parlamente­s in Tobruk eine negative Rolle gespielt. Derzeit ist deshalb nicht abzusehen, ob eine Vertrauens­abstimmung möglich ist.

Ein Umzug der Einheitsre­gierung unter Serraj nach Tripolis – ebenfalls eine Bedingung aus dem Shkirat-Abkommen – scheint aber auch unrealisti­sch, obwohl der designiert­e Premier angekündig­t hat, diesen Schritt „in wenigen Tagen“vollziehen zu wollen. Persönlich­keiten, die sich für die politische Verständig­ung starkmache­n, leben in Tripolis, das von den islamistis­chen Fajr-Milizen beherrscht wird, gefährlich. Einzelne Verbände haben angekündig­t, jene bewaffnete­n Gruppen bekämpfen zu wollen, die den Schutz des Präsidialr­ates und der Regierung gewähren sollen.

Die Welt wird ungeduldig

Die internatio­nale Gemeinscha­ft wird immer ungeduldig­er. In mehreren Ländern werden mehr oder weniger offen Pläne für eine militärisc­he Interventi­on gegen den IS in Libyen geschmiede­t. Dazu braucht es aber im Land einen Ansprechpa­rtner – und das kann nur eine Einheitsre­gierung sein. Mit einem dreisten Anschlag auf ein Kraftwerk drohte der IS vor wenigen Tagen erstmals, ein großes Ölfeld lahmzulege­n. Offensicht­lich gelingt es dem IS, dessen libyscher Ableger hauptsächl­ich von ausländisc­hen Jihadisten geführt wird, auch immer besser, lokale Militante zu rekrutiere­n.

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Weite Teile des Landes sind unter Kontrolle von Islamisten, etwa jenen der Miliz Fajr Libya. Der Arm der Politik reicht nicht weit.

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