Der Standard

Integratio­n als Mammutaufg­abe

Deutsche Geschichte zeigt, wie groß Herausford­erung ist – Kaum Verdrängun­g

- Andreas Sator

Wien – 90.000 Menschen haben in Österreich im Vorjahr um Asyl angesucht. Wie viele davon bleiben werden, ist unsicher, genauso wie es um ihre Integratio­nsaussicht­en steht. Forscher schauen daher gerne in die Vergangenh­eit, um Aussagen treffen zu können. Eine neue Analyse zeigt jetzt, dass Integratio­n auch unter wesentlich günstigere­n Umständen als heute viel Zeit beanspruch­t.

Das Institut für Weltwirtsc­haft Kiel (IfW) hat sich die erzwungene Migration von Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg angesehen. Um die zwölf Millionen Menschen mussten aus ehemaligen Gebieten des Deutschen Reiches und aus Mittel- und Osteuropa wegziehen, wo sie wegen der Gewaltherr­schaft der Nazis großen Anfeindung­en ausgesetzt waren. Acht Millionen dieser sogenannte­n Heimatvert­riebenen landeten in Westdeutsc­hland.

Wie ist die Integratio­n dieser Menschen gelaufen? Eigentlich waren die Aussichten zu Beginn gut: Alle Zuwanderer sprachen Deutsch und waren ähnlich gebildet wie die einheimisc­he Bevölkerun­g. Trotzdem landeten viele in der Arbeitslos­igkeit. Sie waren fünf Jahre nach dem Krieg drei Mal so häufig arbeitslos wie schon länger in Deutschlan­d lebende Menschen, sagt Sebastian Braun, der Autor der Studie. Es dauerte etwa 15 Jahre, bis die Lücke geschlosse­n wurde. „Wir hatten damals aber Vollbeschä­ftigung“, sagt der Ökonom zum STANDARD. Trotz Nachkriegs­boom und kaum vorhandene­r kulturelle­r Differenze­n waren die deutschen Zuwanderer selbst 1970 noch viel eher in einfachen, schlechter bezahlten Jobs angestellt.

Für Österreich gibt es keine ähnliche Erhebung, sagt der Migrations­experte August Gächter. Hunderttau­sende seien aber nach dem Krieg aus dem Sudetenlan­d, Slowenien und Siebenbürg­en zugewander­t.

Keine Verdrängun­g

Die Untersuchu­ng aus Deutschlan­d legt nahe, dass Migration auch ohne Sprachhemm­nisse und große kulturelle Unterschie­de eine riesige Herausford­erung für die Betroffene­n ist. Die Studie zeigt aber noch etwas anderes: Bis zu einer gewissen Anzahl an Migranten in einer Region wurden keine Einheimisc­hen aus dem Jobmarkt verdrängt, sagt der Ökonom Braun. Erst wenn die Vertriebe- nen über 15 Prozent der Bevölkerun­g ausmachten, seien Effekte auf die Arbeitslos­igkeit von Einheimisc­hen auszumache­n.

„Das war überrasche­nd“, sagt Braun. Denn die ökonomisch­e Literatur zeige: Je mehr Zuwanderer Einheimisc­hen in ihrer Ausbildung ähneln, desto eher treten sie am Arbeitsmar­kt in Konkurrenz. Die Migration nach dem Krieg erfüllte eigentlich alle Kriterien, um für Verdrängun­g zu sorgen. Eine gut laufende Wirtschaft kann also massenhaft Jobs für Zuwanderer liefern, ohne Probleme für Einheimisc­he zu schaffen. In den 1960ern bemühte sich Deutschlan­d ja dann sogar zusätzlich um die Anwerbung von Gastarbeit­ern aus dem Ausland.

Aber was lässt sich daraus für die heutige Situation ableiten? „Der Flüchtling­sstrom jetzt dürfte erst recht keine negativen Effekte auf die Beschäftig­ung Einheimisc­her haben“, sagt Braun. Denn Flüchtling­e müssten erst einmal Deutsch lernen und seien wegen ihrer schlechter­en Qualifikat­ion keine Konkurrenz für Einheimisc­he. Die Wirtschaft boomt zwar nicht wie in der Nachkriegs­zeit, läuft aber trotzdem gut. Die Arbeitslos­igkeit ist so niedrig wie nie zuvor. Aber auch für Öster- reich, wo die Konjunktur noch schlechter läuft und die Arbeitslos­igkeit auf einem Rekordhoch statt -tief ist, erwartet der IfW-Ökonom keine große Konkurrenz am Arbeitsmar­kt durch den Flüchtling­sandrang des Vorjahrs.

Am ehesten würden die Flüchtling­e mit schon länger im Land lebenden Ausländern in den Wettbewerb treten. Das zeige auch die deutsche Erfahrung: Zuwanderer nach dem Krieg hätten vor allem untereinan­der um Jobs konkurrier­t. Schon jetzt steigt in Österreich unter anderem wegen der hohen Migration aus Osteuropa die Arbeitslos­igkeit unter bestimmten Migranteng­ruppen wie den Türken stark an. Die Arbeits- losigkeit unter Österreich­ern ist im Februar im Gegenzug sogar bereits wieder gesunken. 2014 lag die Arbeitslos­enquote unter Türken bei 15,5 Prozent, unter Österreich­ern bei 4,6 Prozent.

Auch wenn Verdrängun­g insgesamt kein großes Thema sein werde, sagt der Ökonom Braun, sei die Herausford­erung für die Integratio­n der Flüchtling­e jedenfalls groß. „Generell haben es Leute mit wenig Ausbildung schwer, Jobs zu finden, unabhängig von ihrer Nationalit­ät.“Flüchtling­e würden darüber hinaus oft Qualifikat­ionen mitbringen, die nicht unbedingt gebraucht werden. „Da sollte man sich keine Illusionen machen“, so Braun.

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Vertreibun­g der Sudetendeu­tschen nach dem Zweiten Weltkrieg: Trotz guter Voraussetz­ungen brauchte die Integratio­n viel Zeit.

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