Rechtsextreme verlassen Facebook
Das russische VKontakte wird im deutschen Sprachraum immer populärer. Das liegt daran, dass Facebook immer härter gegen Hasspostings vorgeht – und die Strafverfolgung über Russland schwierig ist.
Wien – Zu sagen, VKontakte (VK) sei Facebook ähnlich, wäre untertrieben: Das 2006 gegründete soziale Netzwerk aus Russland gleicht dem US-amerikanischen Vorbild bis ins Detail. Sogar der Farbton des Logos weicht nur ein paar Nuancen vom im Netz omnipräsenten Facebook-Blau ab. Dennoch war es VKontakte, das das Original in Osteuropa schlagen konnte: In Russland, der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan ist VKontakte das mit Abstand beliebteste soziale Netzwerk. Mehr als 280 Millionen Nutzer sollen sich dort tummeln. Außerhalb des ehemaligen Sowjetblocks spielte VKontakte bisher keine Rolle. Das ändert sich momentan.
Immer mehr Menschen aus Deutschland und Österreich verlagern ihre Social-Media-Aktivitäten auf VKontakte. Das hat vor allem mit der Aufregung um sogenannte Hasspostings zu tun. Nach medialem und politischem Druck begann Facebook vergangenen Herbst verstärkt, hetzerische Inhalte zu löschen. Dazu wurde Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf einem Uno-Gipfel sogar von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert. Gleichzeitig nahmen Behörden die Übeltäter ins Visier. In Österreich verschärfte die Bundesregierung den Tatbestand der Verhetzung, in Deutschland tagten erst vergangenen Donnerstag die Justizminister der Bundesländer zum Thema „Hass im Netz“.
Flucht vor Löschung
Das motiviert Ausländerfeinde, die sich unterdrückt und zensiert fühlen, zum Abschied von Facebook. Denn sowohl die Gefahr einer Löschung als auch strafrechtliche Verfolgung droht Hasspostern auf VKontakte nicht. Ausländer können dort tun und lassen, was sie wollen – solange sie nicht die russische Regierung kritisieren. So galt die Seite bei Behörden bisher vor allem als Drehscheibe für jene westlichen Nutzer, die Urheberrechtsverletzungen begehen oder mit Kinderpornografie handeln. Nun sind es verstärkt ausländerfeindliche bis neonazistische Gruppen, die sich auf VKontakte tummeln. Eine erste große Welle an digitaler Fluchtbewegung gab es, als die rechtsradikale deutsche „Anonymous“Gruppe – die wohl nichts mit dem gleichnamigen Hackerkollektiv zu tun hat – von Facebook gesperrt wurde. Sie verlagerte ihre Tätigkeiten daraufhin in Richtung VKontakte. Wer sich dort etwas umsieht, findet rasch Nutzerprofile mit eindeutig nationalsozialistischen Profilbildern und Aufrufe zur Gewalt gegen Ausländer.
„In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Ankündigungen und Absetzbewegungen“, sagt der grüne Abgeordnete Karl Öllinger, der sich bei der Initiative „Stoppt die Rechten“mit dieser Thematik beschäftigt, zum STANDARD. Im Innenministerium ist das Thema „bekannt“, auch wenn es beim Verfassungsschutz noch keine konkreten Anlassfälle gegeben habe. Noch ist der Absprung zu VKontakte allerdings oft nur ein halbherziger. „Neonazis halten ihre Stellung auf Face- book aufrecht, weil sie wissen, dass sie auf VK isoliert sind“, sagt Öllinger. Die Seite eigne sich derzeit bestenfalls für „konspirative Kontakte“zwischen Neonazis.
Während VK zum Fluchtort vor den Gesetzen in Österreich und Deutschland avanciert, haben russische Dissidenten dort mittlerweile keine Sicherheit mehr. VKGründer Pawel Durow war nach einer absurden Auseinandersetzung 2014 aus dem Unternehmen gedrängt worden: Er hatte am 1. April seinen Rückzug bekanntgegeben, dies später jedoch als Aprilscherz deklariert. Doch da er den Rückzugsbrief nicht offiziell zurückzog, entließ ihn der Aufsichtsrat nach einer einmonatigen Wartefrist. Später gab Durow an, er sei wegen seiner Weigerung zur Weitergabe von Nutzerdaten an Sicherheitsdienste aus dem Unternehmen gedrängt und durch Kreml-treue Manager ersetzt worden. Inzwischen haben sich Oppositionelle auf Facebook zurückgezogen.
Unter Kontrolle des Kremls
Der russische Geheimdienst FSB soll vollen Zugriff auf die Nutzerdaten erlangt haben, etwa von Aktivisten in der Ukraine. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung sollen in Russland allein 2015 mehr als 200 Gerichtsverfahren gegen VK-Nutzer geführt worden sein, die „extremistische Inhalte“geteilt hatten. Als solches gilt das Bild einer Zahnpastatuba, aus der Zahncreme in den Farben der russischen Flagge quillt.
Das Angebot für deutschsprachige Nutzer wächst auf VKontakte beständig. Neben selbsternannten alternativen Medien wie dem Compact- Magazin oder dem FPÖnahen Unzensuriert.at sind auch Parteien und Politiker dort zu finden: aus Deutschland etwa Afd oder NPD. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist der einzige österreichische Politiker von Rang und Namen, der eine VK-Seite betreibt. Unter seinen Beiträgen finden sich dort hasserfüllte Nutzerkommentare.
Auf die Frage, warum Strache auf einer russischen Social-Media-Seite aktiv ist, gibt es aus der FPÖ-Pressestelle keine Antwort.