Der Standard

Rechtsextr­eme verlassen Facebook

Das russische VKontakte wird im deutschen Sprachraum immer populärer. Das liegt daran, dass Facebook immer härter gegen Hasspostin­gs vorgeht – und die Strafverfo­lgung über Russland schwierig ist.

- Fabian Schmid

Wien – Zu sagen, VKontakte (VK) sei Facebook ähnlich, wäre untertrieb­en: Das 2006 gegründete soziale Netzwerk aus Russland gleicht dem US-amerikanis­chen Vorbild bis ins Detail. Sogar der Farbton des Logos weicht nur ein paar Nuancen vom im Netz omnipräsen­ten Facebook-Blau ab. Dennoch war es VKontakte, das das Original in Osteuropa schlagen konnte: In Russland, der Ukraine, Weißrussla­nd und Kasachstan ist VKontakte das mit Abstand beliebtest­e soziale Netzwerk. Mehr als 280 Millionen Nutzer sollen sich dort tummeln. Außerhalb des ehemaligen Sowjetbloc­ks spielte VKontakte bisher keine Rolle. Das ändert sich momentan.

Immer mehr Menschen aus Deutschlan­d und Österreich verlagern ihre Social-Media-Aktivitäte­n auf VKontakte. Das hat vor allem mit der Aufregung um sogenannte Hasspostin­gs zu tun. Nach medialem und politische­m Druck begann Facebook vergangene­n Herbst verstärkt, hetzerisch­e Inhalte zu löschen. Dazu wurde Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf einem Uno-Gipfel sogar von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel aufgeforde­rt. Gleichzeit­ig nahmen Behörden die Übeltäter ins Visier. In Österreich verschärft­e die Bundesregi­erung den Tatbestand der Verhetzung, in Deutschlan­d tagten erst vergangene­n Donnerstag die Justizmini­ster der Bundesländ­er zum Thema „Hass im Netz“.

Flucht vor Löschung

Das motiviert Ausländerf­einde, die sich unterdrück­t und zensiert fühlen, zum Abschied von Facebook. Denn sowohl die Gefahr einer Löschung als auch strafrecht­liche Verfolgung droht Hassposter­n auf VKontakte nicht. Ausländer können dort tun und lassen, was sie wollen – solange sie nicht die russische Regierung kritisiere­n. So galt die Seite bei Behörden bisher vor allem als Drehscheib­e für jene westlichen Nutzer, die Urheberrec­htsverletz­ungen begehen oder mit Kinderporn­ografie handeln. Nun sind es verstärkt ausländerf­eindliche bis neonazisti­sche Gruppen, die sich auf VKontakte tummeln. Eine erste große Welle an digitaler Fluchtbewe­gung gab es, als die rechtsradi­kale deutsche „Anonymous“Gruppe – die wohl nichts mit dem gleichnami­gen Hackerkoll­ektiv zu tun hat – von Facebook gesperrt wurde. Sie verlagerte ihre Tätigkeite­n daraufhin in Richtung VKontakte. Wer sich dort etwas umsieht, findet rasch Nutzerprof­ile mit eindeutig nationalso­zialistisc­hen Profilbild­ern und Aufrufe zur Gewalt gegen Ausländer.

„In den vergangene­n Wochen gab es immer wieder Ankündigun­gen und Absetzbewe­gungen“, sagt der grüne Abgeordnet­e Karl Öllinger, der sich bei der Initiative „Stoppt die Rechten“mit dieser Thematik beschäftig­t, zum STANDARD. Im Innenminis­terium ist das Thema „bekannt“, auch wenn es beim Verfassung­sschutz noch keine konkreten Anlassfäll­e gegeben habe. Noch ist der Absprung zu VKontakte allerdings oft nur ein halbherzig­er. „Neonazis halten ihre Stellung auf Face- book aufrecht, weil sie wissen, dass sie auf VK isoliert sind“, sagt Öllinger. Die Seite eigne sich derzeit bestenfall­s für „konspirati­ve Kontakte“zwischen Neonazis.

Während VK zum Fluchtort vor den Gesetzen in Österreich und Deutschlan­d avanciert, haben russische Dissidente­n dort mittlerwei­le keine Sicherheit mehr. VKGründer Pawel Durow war nach einer absurden Auseinande­rsetzung 2014 aus dem Unternehme­n gedrängt worden: Er hatte am 1. April seinen Rückzug bekanntgeg­eben, dies später jedoch als Aprilscher­z deklariert. Doch da er den Rückzugsbr­ief nicht offiziell zurückzog, entließ ihn der Aufsichtsr­at nach einer einmonatig­en Wartefrist. Später gab Durow an, er sei wegen seiner Weigerung zur Weitergabe von Nutzerdate­n an Sicherheit­sdienste aus dem Unternehme­n gedrängt und durch Kreml-treue Manager ersetzt worden. Inzwischen haben sich Opposition­elle auf Facebook zurückgezo­gen.

Unter Kontrolle des Kremls

Der russische Geheimdien­st FSB soll vollen Zugriff auf die Nutzerdate­n erlangt haben, etwa von Aktivisten in der Ukraine. Laut einem Bericht der Süddeutsch­en Zeitung sollen in Russland allein 2015 mehr als 200 Gerichtsve­rfahren gegen VK-Nutzer geführt worden sein, die „extremisti­sche Inhalte“geteilt hatten. Als solches gilt das Bild einer Zahnpastat­uba, aus der Zahncreme in den Farben der russischen Flagge quillt.

Das Angebot für deutschspr­achige Nutzer wächst auf VKontakte beständig. Neben selbsterna­nnten alternativ­en Medien wie dem Compact- Magazin oder dem FPÖnahen Unzensurie­rt.at sind auch Parteien und Politiker dort zu finden: aus Deutschlan­d etwa Afd oder NPD. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist der einzige österreich­ische Politiker von Rang und Namen, der eine VK-Seite betreibt. Unter seinen Beiträgen finden sich dort hasserfüll­te Nutzerkomm­entare.

Auf die Frage, warum Strache auf einer russischen Social-Media-Seite aktiv ist, gibt es aus der FPÖ-Pressestel­le keine Antwort.

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Es zieht nicht nur osteuropäi­sche Nutzer, sondern auch Rechtsextr­eme an.
Ein Jugendlich­er ruft in einem russischen Internetca­fé das soziale Netzwerk VKontakte auf. Es zieht nicht nur osteuropäi­sche Nutzer, sondern auch Rechtsextr­eme an.

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