Der Standard

Ein zärtlicher Fatalist

Er hat mit ein paar großen Außenseite­rn der USPopmusik gearbeitet und war stets selbst einer. Dan Stuart stellt in Wien sein neues Album „Marlowe’s Revenge“vor. Ein Bauchfleck vor dem Herrn, wieder einmal.

- Karl Fluch

Wien – Die besten Geschichte­n erzählen die Underdogs. Deren Storys gehen zwar selten zugunsten ihrer Hauptdarst­eller aus, doch die Herzen des Publikums fliegen gern den Verlierern zu. Den Sturschäde­ln, die lieber sich selbst treu untergehen als für das Falsche zu rittern. Über derlei Charaktere schreibt Dan Stuart seine Lieder, so ein Typ ist er selbst.

Stuart hat ein Universum erschaffen, in dem ein paar Dinge unumstößli­ch sind. Die Filme von Sam Peckinpah, die Bücher von Jim Thompson, die Weisheit und Kraft des Muhammad Ali, die Musik des amerikanis­chen Südens, Country, Soul, Bob Dylan.

Ausgedacht hat der sich dieses Universum als eine aus Arizona stammende Kaulquappe in den Nachwehen des Punk. Sturm und Drang ließen ihn in den frühen 1980ern die Band Green On Red gründen, die der Rolling Stone, das Heft‘l, als die neuen Rolling Stones, die Band, ausrief. Das war Blödsinn, zeigt aber, welche Strahlkraf­t Green On Red zugeschrie­ben wurde. Die erreichte dann doch nur in Europa größere Bekannthei­t, an fehlender Qualität lag das nicht.

Zu Beginn der 1990er zerbröselt­e Green On Red dann. Keine gröberen Wickel, es ging bloß nicht mehr. Gut, ungesunde Gewohnheit­en Stuarts sollen eine Rolle gespielt haben, aber Schwamm drüber. Nach zwei weiteren Alben verschwand er von der Bildfläche, wie es sich für einen Underdog gehört. In den Nullerjahr­en tauchte er plötzlich wieder auf und reformiert­e Green On Red für eine Tour. Seit damals ist er nie mehr ganz verschwund­en. Heute lebt er in Mexiko. Dort ist das Leben billiger, die Leute nicht so deppert und kulturlos wie zu Hause, wo gerade dieser Trump ums Präsidente­namt pöbelt.

Südlich der Grenze hat der 55Jährige sein neues Album aufgenomme­n, das er am Mittwoch im Wiener Chelsea live präsentier­t. Eingespiel­t hat er es mit ein paar Amigos, die auf den Namen Twin Tones hören. Das Album heißt Marlowe’s Revenge und ist Gold.

Marlowe – der Name ist eine weitere Tür in Stuarts Werk. Denken wir an den ramponiert­en Detektiv Philip Marlowe, ein Held in Stuarts Welt. Als Marlowe Billings hat er vor einigen Jahren auch seine Autobiogra­fie verfasst: The Deliveranc­e of Marlowe Billings, eine „false memoir“, die doch die Wahrheit erzählt hat. Stuarts Wahrheit. Betrachtet durch all den Staub, den ein wildes Leben aufwirbelt. In diesen Erinnerung­en tauchen Namen wie Dan Penn, Lee Hazlewood oder Jim Dickinson auf. Typen, mit denen er zusammenge­arbeitet hat. Außenseite­r wie er, Heilige in Latzhosen.

Stuarts Arbeit prägt seine narrative Qualität gleicherma­ßen wie sein zärtlicher Gesang. Der belegt jenen weichen Kern, der noch im grimmigste­n Schweinehu­nd vermutet wird. Stuarts Lieder betten deren Geschichte­n auf MidtempoBa­lladen, beschwören jene Momente, in denen diese Rohlinge in der Cantina ihre Herzen ausschütte­n und den Schmerz mit Hochprozen­tigem betäuben. Das ergibt Songs wie Last Blue Day oder das forsche Elena – zwei der Perlen des neuen Albums.

Zaungast auf Höhenflug

Die in diesem Fach drohenden Klischees umschifft er gekonnt. Stuart ist kein weinerlich­er alter Sack, der mit Schablonen spielt, er ist ein heiterer Fatalist, der seine Position als Zaungast genießt. Dort notiert er nicht nur seine Songs, dort rennt auch der Schmäh. Den kann ihm nur die Zuschreibu­ng „Americana“verleiden, die ihm in ihrer Ungenauigk­eit zu „fucking stupid“ist.

Künstleris­ch, das lässt sich ohne Risiko sagen, befindet er sich auf Höhenflug. Bereits das 2012 erschienen­e Vorgängera­lbum, das wie seine Autobiogra­fie betitelte The Deliveranc­e of Marlowe Billings, war betörend. Darauf unterstütz­te ihn die italienisc­he Formation Sacri Cuori. Die muss sich auch nicht gerade verstecken, hat mit Calexico, Marc Ribot oder Jim Keltner gearbeitet.

Mit deren Gitarriste­n Antonio Gramentier­i und dem aus Portland kommenden Fernando Viciconte ist Stuart aktuell auf Tour. Die prächtige, in den Cool Jazz von Oaxaca tauchende MariachiTr­ompete, die den Song Zipolite auf dem Album krönt, wird man sich also abschminke­n müssen. Ansonsten ist davon auszugehen, dass die drei Muchachos zu jeder Schandtat bereit sind. Vamos! Dan Stuart: 23. 3. Chelsea, 8. Lerchenfel­der Gürtel U-Bahn-Bögen 29–32. 21.00

 ?? Foto: Darren Andrews ?? „Ich seh dir in die Augen, Kleines.“Der US-Musiker Dan Stuart stellt sein neues Album „Marlowe’s Revenge“live in Wien vor. Musik für Menschen, denen Namen wie Humphrey Bogart, Sam Peckinpah oder Jim Dickinson ein Begriff sind – oder die schlicht ein offenes Herz haben.
Foto: Darren Andrews „Ich seh dir in die Augen, Kleines.“Der US-Musiker Dan Stuart stellt sein neues Album „Marlowe’s Revenge“live in Wien vor. Musik für Menschen, denen Namen wie Humphrey Bogart, Sam Peckinpah oder Jim Dickinson ein Begriff sind – oder die schlicht ein offenes Herz haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria