Der Papst und die unfehlbare Liebe
Das Wort Gottes, die christliche Botschaft, ist „aus sich“unfehlbar wahr. Der Papst ist nur deren Überbringer und Lehrautorität in Sittenund Glaubensfragen. Eine Replik auf Hans Küngs Appell.
Hans Küng hat an dieser Stelle seine schon länger bekannte Haltung gegenüber der katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sitten ausgedrückt und einen dringenden Appell an Papst Franziskus gerichtet: „Inständig bitte ich Sie (…) lassen Sie in unserer Kirche eine freie, unvoreingenommene und ergebnisoffene Diskussion all der unbewältigten und verdrängten Fragen zu, die mit dem Unfehlbarkeitsdogma zusammenhängen.“Eine solche Diskussion wäre natürlich sehr zu begrüßen, und meine folgenden Bemerkungen verstehen sich als ein kleiner Beitrag dazu. Eine solche Diskussion müsste im Übrigen auch für Menschen interessant sein, die der katholischen Kirche ablehnend gegenüberstehen. Denn vielleicht beruht die Ablehnung zumindest teilweise auf Missverständnissen.
Worum geht es bei der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit? Das Erste Vatikanische Konzil (1869–1870) hält fest, dass Lehrentscheidungen des Papstes, sofern sie ex cathedra, also unter Inanspruchnahme der höchsten Lehrautorität definiert werden, „aus sich“(ex sese) wahr sind und nicht der Zustimmung der Kirche bedürfen. Nach den Regeln der lateinischen Grammatik muss sich das „ex sese“auf das Subjekt des Satzes, also auf die Lehrentscheidungen des Papstes und nicht etwa, wie man häufig meint, auf seine Person beziehen. Es würde sich also um Aussagen handeln, die „aus sich“wahr und sogar unfehlbar wahr sind. Was könnte damit gemeint sein? Gibt es solche Aussagen überhaupt?
Grundsätzlich sind alle Glaubensaussagen „aus sich“wahr, weil in ihnen Gottes Selbstmitteilung geschieht. Im Glauben geht es letztlich darum, dass wir von Jesus her auf eine Botschaft vertrauen, in der uns eine unverbrüchliche Gemeinschaft mit Gott zugesagt wird: Wir haben Anteil am Gottesverhältnis Jesu, wir sind aufgenommen in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist. Nur so ist angesichts der Transzendenz und Absolutheit Gottes Gemeinschaft mit Gott möglich. Und alle einzelnen Glaubensaussagen entfalten und erläutern nur diesen einen Grundsachverhalt. Die christliche Botschaft, die sich als Offenbarung, nämlich als „Wort Gottes“versteht, vermittelt uns etwas, das wir mit unserer bloßen Vernunft nicht erkennen könnten. Wir können es an den Zuständen der Welt nicht ablesen, dass wir von Gott in unendlicher Weise geliebt sind.
Aus sich wahr
Wenn die christliche Botschaft wirklich „Wort Gottes“sein sollte, dann muss sie „aus sich“wahr und unfehlbar wahr sein. Ein fehlbares oder bloß hypothetisches „Wort Gottes“wäre ein Widerspruch in sich; und ein „Wort Gottes“, das sich mit Vernunftgründen beweisen oder widerlegen ließe, ebenfalls. Die Autorität dieses Wortes liegt darin, dass sein konkreter Inhalt (Dreifaltigkeit Gottes, Menschwerdung des Sohnes) überhaupt erst erklären kann, wie man es tatsächlich als Wort Gottes verstehen kann. Denn „Wort Gottes“ist nicht trivial selbstverständlich, im Gegenteil. Darin liegt auch die Grundproblematik aller Religionen.
Man kann den christlichen Glauben nur mit dem Anspruch auf Wahrheit und Verlässlichkeit weitergeben. Wenn eine Mutter ihrem Kind einen Glauben vermittelt, der im Leben und im Sterben gewiss machen und aus der Macht der Angst um sich selbst befreien kann, dann setzt dies voraus, dass dieser Glaube wahr und verlässlich ist. Nicht nur der Papst, alle Christen, ja sogar alle Menschen bedienen sich der Unfehlbarkeit des Glaubens der Kirche, wenn sie die christliche Botschaft bezeugen. Die Lehrautorität des Papstes ist insofern einzigartig, als sie um der Einheit der Kirche willen amtlich die Unfehlbarkeit des Glaubens aller unterstreicht.
Die Unfehlbarkeit der päpstlichen Lehrautorität ist eingeschränkt auf Glaubens- und Sittenfragen. Doch kann es ethische Unfehlbarkeit im strengen Sinn geben? Falls als Offenbarung immer nur die Selbstmitteilung Gottes infrage kommt, also dass Gott sich selber schenkt, dann können moralische Normen nicht Gegenstand göttlicher Offenbarung sein und deshalb auch nicht mit Anspruch auf Unfehlbarkeit gelehrt werden. Man kann nicht an moralische Normen glauben, sondern muss sie mit der Vernunft erkennen. Gerade darauf bezieht sich ja die katholische Rede vom „natürlichen Sittengesetz“. Und unsere Vernunft ist und bleibt fehlbar.
Selbstverständlich kann und soll der Papst wie jeder Mensch auch in ethischen Fragen seine Stimme erheben, konstruktive Kritik üben und Orientierung anbieten; aber seine Autorität hängt hier an der Stichhaltigkeit seiner Argumente. Unfehlbar wird in Bezug auf moralische Normen nur gelehrt, dass erst solche Werke vor Gott gut sind, die aus der Gemeinschaft mit Gott hervorgehen, also aus einer letzten Geborgenheit. Im Glauben lebt man nicht mehr aus der Angst um sich selbst.
Letztlich geht es in der Frage der Unfehlbarkeit des Glaubens um die absolute Verlässlichkeit der christlichen Botschaft: Gott will, dass wir aus der Gewissheit leben können, unter allen Umständen, im Leben und im Sterben, in seiner Liebe geborgen zu sein. In diesem Sinn ist dann das Unfehlbarkeitsdogma kein Herrschaftsinstrument oder eine Immunisierungsstrategie gegenüber unliebsamer Kritik, sondern Ausdruck der unbedingten Treue Gottes. Das schließt mit ein, dass der Glaube auf alle kritischen Einwände antworten kann. Echte Glaubensgewissheit ist nicht „dogmatisch“, sondern sucht sogar aktiv nach Einwänden, damit sich der Glaube an ihnen bewähren kann. Denn wirklicher Glaube und kritische Vernunft können niemals einander widersprechen.
ROBERT DEINHAMMER ist Philosoph und Jurist, Mitglied der österreichischen Jesuitenprovinz und lebt in London.