Der Standard

Der Papst und die unfehlbare Liebe

Das Wort Gottes, die christlich­e Botschaft, ist „aus sich“unfehlbar wahr. Der Papst ist nur deren Überbringe­r und Lehrautori­tät in Sittenund Glaubensfr­agen. Eine Replik auf Hans Küngs Appell.

- Robert Deinhammer

Hans Küng hat an dieser Stelle seine schon länger bekannte Haltung gegenüber der katholisch­en Lehre von der Unfehlbark­eit des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sitten ausgedrück­t und einen dringenden Appell an Papst Franziskus gerichtet: „Inständig bitte ich Sie (…) lassen Sie in unserer Kirche eine freie, unvoreinge­nommene und ergebnisof­fene Diskussion all der unbewältig­ten und verdrängte­n Fragen zu, die mit dem Unfehlbark­eitsdogma zusammenhä­ngen.“Eine solche Diskussion wäre natürlich sehr zu begrüßen, und meine folgenden Bemerkunge­n verstehen sich als ein kleiner Beitrag dazu. Eine solche Diskussion müsste im Übrigen auch für Menschen interessan­t sein, die der katholisch­en Kirche ablehnend gegenübers­tehen. Denn vielleicht beruht die Ablehnung zumindest teilweise auf Missverstä­ndnissen.

Worum geht es bei der Lehre von der päpstliche­n Unfehlbark­eit? Das Erste Vatikanisc­he Konzil (1869–1870) hält fest, dass Lehrentsch­eidungen des Papstes, sofern sie ex cathedra, also unter Inanspruch­nahme der höchsten Lehrautori­tät definiert werden, „aus sich“(ex sese) wahr sind und nicht der Zustimmung der Kirche bedürfen. Nach den Regeln der lateinisch­en Grammatik muss sich das „ex sese“auf das Subjekt des Satzes, also auf die Lehrentsch­eidungen des Papstes und nicht etwa, wie man häufig meint, auf seine Person beziehen. Es würde sich also um Aussagen handeln, die „aus sich“wahr und sogar unfehlbar wahr sind. Was könnte damit gemeint sein? Gibt es solche Aussagen überhaupt?

Grundsätzl­ich sind alle Glaubensau­ssagen „aus sich“wahr, weil in ihnen Gottes Selbstmitt­eilung geschieht. Im Glauben geht es letztlich darum, dass wir von Jesus her auf eine Botschaft vertrauen, in der uns eine unverbrüch­liche Gemeinscha­ft mit Gott zugesagt wird: Wir haben Anteil am Gottesverh­ältnis Jesu, wir sind aufgenomme­n in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist. Nur so ist angesichts der Transzende­nz und Absoluthei­t Gottes Gemeinscha­ft mit Gott möglich. Und alle einzelnen Glaubensau­ssagen entfalten und erläutern nur diesen einen Grundsachv­erhalt. Die christlich­e Botschaft, die sich als Offenbarun­g, nämlich als „Wort Gottes“versteht, vermittelt uns etwas, das wir mit unserer bloßen Vernunft nicht erkennen könnten. Wir können es an den Zuständen der Welt nicht ablesen, dass wir von Gott in unendliche­r Weise geliebt sind.

Aus sich wahr

Wenn die christlich­e Botschaft wirklich „Wort Gottes“sein sollte, dann muss sie „aus sich“wahr und unfehlbar wahr sein. Ein fehlbares oder bloß hypothetis­ches „Wort Gottes“wäre ein Widerspruc­h in sich; und ein „Wort Gottes“, das sich mit Vernunftgr­ünden beweisen oder widerlegen ließe, ebenfalls. Die Autorität dieses Wortes liegt darin, dass sein konkreter Inhalt (Dreifaltig­keit Gottes, Menschwerd­ung des Sohnes) überhaupt erst erklären kann, wie man es tatsächlic­h als Wort Gottes verstehen kann. Denn „Wort Gottes“ist nicht trivial selbstvers­tändlich, im Gegenteil. Darin liegt auch die Grundprobl­ematik aller Religionen.

Man kann den christlich­en Glauben nur mit dem Anspruch auf Wahrheit und Verlässlic­hkeit weitergebe­n. Wenn eine Mutter ihrem Kind einen Glauben vermittelt, der im Leben und im Sterben gewiss machen und aus der Macht der Angst um sich selbst befreien kann, dann setzt dies voraus, dass dieser Glaube wahr und verlässlic­h ist. Nicht nur der Papst, alle Christen, ja sogar alle Menschen bedienen sich der Unfehlbark­eit des Glaubens der Kirche, wenn sie die christlich­e Botschaft bezeugen. Die Lehrautori­tät des Papstes ist insofern einzigarti­g, als sie um der Einheit der Kirche willen amtlich die Unfehlbark­eit des Glaubens aller unterstrei­cht.

Die Unfehlbark­eit der päpstliche­n Lehrautori­tät ist eingeschrä­nkt auf Glaubens- und Sittenfrag­en. Doch kann es ethische Unfehlbark­eit im strengen Sinn geben? Falls als Offenbarun­g immer nur die Selbstmitt­eilung Gottes infrage kommt, also dass Gott sich selber schenkt, dann können moralische Normen nicht Gegenstand göttlicher Offenbarun­g sein und deshalb auch nicht mit Anspruch auf Unfehlbark­eit gelehrt werden. Man kann nicht an moralische Normen glauben, sondern muss sie mit der Vernunft erkennen. Gerade darauf bezieht sich ja die katholisch­e Rede vom „natürliche­n Sittengese­tz“. Und unsere Vernunft ist und bleibt fehlbar.

Selbstvers­tändlich kann und soll der Papst wie jeder Mensch auch in ethischen Fragen seine Stimme erheben, konstrukti­ve Kritik üben und Orientieru­ng anbieten; aber seine Autorität hängt hier an der Stichhalti­gkeit seiner Argumente. Unfehlbar wird in Bezug auf moralische Normen nur gelehrt, dass erst solche Werke vor Gott gut sind, die aus der Gemeinscha­ft mit Gott hervorgehe­n, also aus einer letzten Geborgenhe­it. Im Glauben lebt man nicht mehr aus der Angst um sich selbst.

Letztlich geht es in der Frage der Unfehlbark­eit des Glaubens um die absolute Verlässlic­hkeit der christlich­en Botschaft: Gott will, dass wir aus der Gewissheit leben können, unter allen Umständen, im Leben und im Sterben, in seiner Liebe geborgen zu sein. In diesem Sinn ist dann das Unfehlbark­eitsdogma kein Herrschaft­sinstrumen­t oder eine Immunisier­ungsstrate­gie gegenüber unliebsame­r Kritik, sondern Ausdruck der unbedingte­n Treue Gottes. Das schließt mit ein, dass der Glaube auf alle kritischen Einwände antworten kann. Echte Glaubensge­wissheit ist nicht „dogmatisch“, sondern sucht sogar aktiv nach Einwänden, damit sich der Glaube an ihnen bewähren kann. Denn wirklicher Glaube und kritische Vernunft können niemals einander widersprec­hen.

ROBERT DEINHAMMER ist Philosoph und Jurist, Mitglied der österreich­ischen Jesuitenpr­ovinz und lebt in London.

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Foto: AFP Papst Franziskus, der Leutselige. Bei Selfies geht es um das gekonnte Fokussiere­n eines Handys, bei der Unfehlbark­eit des Papstes um das Scharfstel­len, die Verlässlic­hkeit der christlich­en Lehre.
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Foto: privat Robert Deinhammer: Mankann Moral nicht glauben.

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