Der Standard

Das kleinere Übel

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Es wird von Tag zu Tag klarer, dass die Flüchtling­skrise eine existenzie­lle Bedrohung der EU bedeutet. Wie der frühere polnische Außenminis­ter Radosław Sikorski am Sonntag in einem NZZ- Interview feststellt­e, die EU sei kein Bundesstaa­t, sondern eine Konföderat­ion. Man könne nur das tun, dem jeder zustimme. „Die Entscheidu­ngen kommen immer zu spät und gehen nie weit genug.“Zeigt nun das Abkommen zwischen der EU und der Türkei noch rechtzeiti­gI den richtigen Weg? m Wirrwarr der Kommentare überwiegen die Stimmen, die zum Teil aus moralische­n, aber auch aus praktische­n Gründen bezweifeln, dass die Türkei im Kampf gegen kurdische Terroriste­n und Jihadisten unter einem autoritäre­n Präsidente­n, der kritische Journalist­en und unabhängig­e Richter verfolgt, ein verlässlic­her Partner sein könne. Wird es außerdem die griechisch­e Verwaltung überhaupt schaffen, in kurzer Zeit zehntausen­de Registrier­ungen, Asylverfah­ren und vor allem Rückschaff­ungen in die Türkei, wenn auch mithilfe zahlreiche­r EU-Beamter, abzuarbeit­en? Werden jetzt mehr Länder in Europa bereit sein, 72.000 syrische Flüchtling­e aus der Türkei zu übernehmen? Wird die EU das Abkommen in die Tat umsetzen?

Es geht zweifellos um die größte logistisch­e, aber auch politische Herausford­erung in der EU-Geschichte. Der Flüchtling­spakt ist umstritten und wird von Amnesty Internatio­nal und Flüchtling­shilfswerk­en als menschenre­chtswidrig kritisiert. Es gibt jedoch angesichts der noch vor einem Jahr kaum vorgesehen­en und unkontroll­ierbaren Dynamik der Völkerwand­erung keine Alternativ­e. Trotz der seit Wochen von Politikern wie Seehofer und Orbán, Fico und Kaczyiński vertretene­n Mischung aus Arroganz und Zynismus hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel richtig erkannt, dass selbst eine Schadenbeg­renzung nur internatio­nal und nicht national versucht Jund erreicht werden kann. ene, die sich nur durch Grenzschli­eßung, Zäune und totale Solidaritä­tsverweige­rung Erleichter­ung verschaffe­n wollen, sollen im OTon die jüngsten Erklärunge­n des ungarische­n Ministerpr­äsidenten für inländisch­en Gebrauch hören: „Es entstand die bizarrste Koalition der Weltgeschi­chte zwischen Menschensc­hmugglern, Menschenre­chtsaktivi­sten und europäisch­en Spitzenpol­itikern, um planmäßig Millionen Migranten herzutrans­portieren“– am 28. 2. und am Nationalfe­iertag 15. 3. „Es ist verboten auszusprec­hen, dass man in Brüssel daran arbeitet, dass so schnell wie möglich Fremde hergeliefe­rt und angesiedel­t werden sollen. Es ist verboten auszusprec­hen, dass das Ziel der Ansiedlung ist, das ethnische Fundament Europas umzubauen und die Nationalst­aaten, die letzten Barrieren der Internatio­nale, zu liquidiere­n.“

Angesichts dieser Worte des lautstärks­ten und hierzuland­e von vielen bewunderte­n Verteidige­rs unkontroll­ierter Alleingäng­e ist es schwierig, an einer gemeinsame­n Krisenbewä­ltigung durch die EU zu glauben. Könnte aber ein Europa ohne die vielgeschm­ähte EU die Flüchtling­skrise bloß durch einen neuen umgekehrte­n Eisernen Vorhang der Nationalst­aaten besser bewältigen? Der Versuch mit der Türkei und Griechenla­nd ist das kleinere Übel. Es gibt keine Alternativ­e!

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