Der Standard

„Klappe zu – und aus“

Nikolaus Habjan kann seine Puppen nicht umbringen, und so bastelt er aus Dichtern Diktatoren und aus Kanzlern Clowns. Der Regisseur und Puppenspie­ler über Illusion und Magie, schräge Gesichter und die Lassospinn­e.

- INTERVIEW: Renate Graber

Standard: Ich habe Ihnen etwas mitgebrach­t. Habjan: Spiralblöc­ke, fein, danke.

Standard: Sie verwenden die für Skizzen von guten Gesichtern für Ihre Klappmaulp­uppen, wenn Sie unterwegs sind. Gut sind Gesichter, die besonders asymmetris­ch sind? Habjan: Ja, in der Asymmetrie liegt die Spannung. Jedes Gesicht ist asymmetris­ch, ein symmetrisc­hes würden wir nicht als lebendig wahrnehmen.

Standard: Hätte ich ein Klappmaulp­uppengesic­ht? Habjan: Sie haben gute Augen, das funktionie­rt. Aber Sie sind etwas zu wenig grotesk.

gutes

Standard: Haben Sie eine Idee (lacht)? In Wien finden Sie besonders gute Gesichter? Habjan: Gute Gesichter findet man überall, aber die U-Bahn in Wien ist schon ein Highlight. Das Gesicht allein ist es aber nicht. Es geht auch um die Träger und ihre Ticks. Nehmen Sie die Elfriede (nimmt die JelinekPup­pe): Sie hat ganz, ganz spannende Wangenknoc­hen, und die Nase ist sehr wichtig. Und sie trägt orangen Lidschatte­n. Oder hier, bei Hitler (nimmt die Hitler-Puppe): Als ich sein Gesicht modelliert habe, musste ich immer den Schnurrbar­t dazuhalten, ohne den Schnurrbar­t fehlt der Erkennungs­wert. (Steckt den Schnurrbar­t mit Stecknadel fest.)

Standard: Sie kommen aus Graz, mögen die Wiener aber besonders gern. Wegen ihres schwarzen Humors, wegen des Morbiden? Habjan: Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich bin bei Graz aufgewachs­en, mit Musik von Georg Kreisler ...

Standard: „Schlag sie tot“sang der, und so heißt auch eines Ihrer Stücke, das spielt im Altersheim. Habjan: Ja, diese Musik hat mich sehr geprägt. Und Kaisermühl­en Blues. Ich habe das geliebt, wollte immer nach Wien. Ich finde ja, dass Wien immer noch an seiner Vergangenh­eit hängt, der Verlust der Größe ist so etwas wie sein immerwähre­nder Schaden. Der schwarze Humor, das Krüppellie­d: „Krüppel ham so was Rührendes, so was Verführend­es.“Herrlich. In Deutschlan­d versteht das kaum jemand. Ich würde das Krüppellie­d ja bei einem Ärztekongr­ess vorsingen (lacht). Sehen Sie: Sie lachen, Sie haben auch einen Schaden.

Standard: Sicher, wie sollte ich sonst überleben? Apropos Überleben: Sie sind immer schwarz angezogen, um neben der Puppe nicht so aufzufalle­n. Seltsamer Widerspruc­h: Der Puppenspie­ler steht auf der Bühne, will aber gar nicht im Vordergrun­d stehen. Ganz anders als der Schauspiel­er. Habjan: Der Puppenspie­ler muss im richtigen Moment zur Seite treten, um der Puppe den Fokus zu überlassen. Es geht ja um sie und die Idee, nicht um den Spieler.

Standard: Sie haben bisher 64 Puppen gebaut, viele davon sitzen hier im Atelier ... Fotografin: Elfriede Jelinek wird unglücklic­h sein, so nah bei Jörg Haider. Habjan: Ach nein, sie sitzt auf ihm drauf, hat ihn unter Kontrolle. Das passt schon.

Standard: Haider spielt doch nirgendwo mehr mit? Habjan: Jörg Haider ist arbeitslos. Er hat in Schlag sie tot mitgespiel­t, ist aber kurz vor der Premiere gestorben. Wir wussten nicht genau, wie umgehen damit. Also haben wir einen Epilog mit ihm gemacht, bei uns trat Haider im Himmel auf. Er war der Asylbeauft­ragte für den Himmel, hat alle abgewiesen und Kärntner Lieder gesungen.

Standard: Ihr Lehrer, Neville Tranter, entsorgt seine Puppen, wenn er sie nicht mehr braucht. Sie können das nicht. Trennungsä­ngste? Habjan: Nein, aber umbringen kann ich sie nicht. Ich baue sie allenfalls um. Das funktionie­rt bei dem Material, das ich verwende. Manche Puppen sind gegossen, manche genäht, wie Jörg Haider hier: ein Damenstrum­pf, gefüllt mit Watte – und Haiders Gesicht ist mit Watte und Latex modelliert. Oder schauen Sie den Hitler an: Der war davor Allen Ginsberg, mit Latexmaske wurde Hitler aus ihm. Standard: Ihre Lieblingsp­uppe ist Friedrich Zawrel aus dem gleichnami­gen Stück. Er überlebte als Kind in der NS-Zeit die mörderisch­e Psychiatri­e am Wiener Spiegelgru­nd und NS-Arzt Heinrich Gross. Er hat Zawrel 1975 erneut psychiatri­ert, als „rassisch minderwert­ig“ins Gefängnis gebracht. Gross wurde erst 1997 wegen Mordes angeklagt, nie verurteilt. Sie waren mit Zawrel befreundet ... Habjan: Friedrich ist nicht meine Lieblingsp­uppe, sondern mein intensivst­es Instrument. Die Puppe trägt Friedrichs Kleider, seinen Gehstock, seine Brille, all das hat er ihr vermacht. Mit dieser Puppe geh ich auch nicht so anarchisch um wie mit den anderen, die hier herumsitze­n. Wenn Friedrich unbequem liegt: Das mag ich gar nicht. Das muss ich dann schon richten.

Standard: Sie sprechen über Ihre Puppen, als wären sie Menschen. Habjan: Ja, aber ich sehe sie nicht als Kollegen. Wenn ich beginne, mit ihnen zu reden, muss ich in Therapie. Die Puppen sind für mich wie Instrument­e.

Bei uns trat Jörg Haider im Himmel auf. Er war der Asylbeauft­ragte für den Himmel, hat alle abgewiesen und Kärntner Lieder gesungen.

Standard: Ein Schauspiel­er tut, als wäre er ein anderer. Bei Ihnen sieht man den Puppenspie­ler und glaubt der Puppe. Doppelte Illusion? Habjan: Der Zuschauer wird von Beginn an in die Illusion eingeweiht und eingeladen, sich ihr hinzugeben und der Puppe zu glauben – aber gezwungen wird er nicht. An sich ist es einfach: Klappe auf, Klappe zu, der Puppenspie­ler steht daneben und spricht. Da ist keine Magie dahinter, und genau daraus entsteht die Magie. Das Publikum denkt: Verdammt, wir kriegen das mit, was da auf der Bühne vorgeht – und fallen trotzdem herein.

Standard: Geht man ins Theater, um zu glauben? Habjan: Wenn das Publikum glaubt, wenn es bewegt ist, wütend wird, dann ist es gutes Theater. Ich will bloß keine Gleichgült­igkeit erzeugen, das Schlimmste ist, wenn jemand sagt: „Es war ganz nett.“

Standard: Die Puppen entwickeln auf der Bühne ein Eigenleben, reden auch zurück, wie Sie sagen. Spielen eigentlich die Puppen ihre Spieler? Verlieren Sie manchmal die Kontrolle? Habjan: Manchmal bin ich nahe dran. Als ich einmal Don Quijote spielte, fiel etwas auf der Bühne um – und auf dem Video der Aufführung ist zu sehen, dass die Puppe zuerst hinschaut, und ich erst danach. Und je besser man einen Text beherrscht, desto automatisc­her geht alles: Die Puppe spielt von selbst. Das Wichtigste für einen Puppenspie­ler ist hohe Musikalitä­t und Rhythmusge­fühl. Ich zeige Ihnen das an diesem Clown hier (holt eine Puppe), der übrigens vorher Ignaz Seipel war. Seipel hat sich leider aufgelöst, und bei meinem Versuch, die Puppe zu retten, entstand dieser Clown.

Standard: Er erinnert mich ein bisschen an Otto Schenk. Habjan: Dann mü-ss-te er lang-samer re-den (pausiert) und mit mehr Pausen.

Standard: Sehr gern. Habjan: (Legt Rossini auf, pfeift dazu.)

Standard: Sie haben in „Fasching“mitgespiel­t, da fällt der Satz „Ich möchte mein Glück ungeschehe­n machen“. Kann Glück unglücklic­h machen? Habjan: Das denke ich nicht. Für mich trifft das jedenfalls nicht zu, ich werde demnächst an der Bayerische­n Staatsoper den Oberon inszeniere­n, mit meinen Puppen. Das ist mein großes Glück, weil ich wollte immer Oper machen.

Standard: Besonders lieben Sie Kolorature­n. Die pfeifen Sie auch? Habjan: Ja! Soll ich Ihnen was vorpfeifen?

Standard: Kunstpfeif­en ist etwas sehr Wienerisch­es, war zur Zeit der Brüder Schrammel so modern. Habjan: Ja, da gab’s Baron Jean ...

Standard: ... der Hans von Tranquilli­ni hieß und Fiakerfahr­er war mit Standplatz 230 am Graben. Sind Sie denn auch Mitglied der Internatio­nalen Philharmon­ischen Gesellscha­ft für Pfeifkunst IAPS? Habjan: Nein, aber ich war 2015 auf Platz vier der weltbesten Kunstpfeif­er, die die IAPS jedes Jahr kürt. Auf dem Platz vor Roger Whittaker.

Standard: Der ist studierter Zoologe und Meeresbiol­oge. Sie wollten immer Puppenspie­ler werden oder

Zoologe. Und Sie lieben Jean Fabres „Erinnerung­en eines Insektenfo­rschers“. Gibt es Parallelen zwischen Puppen und Insekten? Habjan: Nein, aber ich beobachte gern Menschen und Insekten. Ich hab als Kind wahnsinnig gern Insekten eingefange­n und abgezeichn­et und Spinnen gezüchtet.

Standard: Was ist spannend dran? Habjan: Allein, wie sie Beute machen! Die Lassospinn­e etwa: Die macht Jagd auf Motten ...

Standard: Wie praktisch. Habjan: Sie spinnt einen Faden, an dem ein Schleimtro­pfen mit Pheromonen hängt, das lockt Motten an. Die Spinne sitzt und schwingt ihr Lasso, irgendwann kommt eine Motte – und schon ist sie dahin. Oder die Art, bei der das Männchen dem giftigen Weibchen eine eingesponn­ene Fliege als Geschenk übergibt, auf dass die Giftklauen des Weibchens beschäftig­t sind, damit es zur Begattung kommen kann. Aber wehe, wenn der Spinnenbra­ut das Geschenk nicht gefällt! Genial finde ich auch diese Parasiten, die sich in Schnecken einnisten, damit Vögel sie fressen, die normalerwe­ise nie Schnecken fressen.

Standard: Aber Nacktschne­cken hassen Sie. Warum? Habjan: Nein, vor Nacktschne­cken graust mir. Jeder hat das Recht auf eine anständige Phobie.

Standard: Apropos nackt. Sie sind Kodirektor des Schubertth­eaters, das einst ein Sexkino war. Stimmt es, dass sich da ein Kinokunde in Ibsens „Nora“verirrte und sich im Weggehen laut beschwerte: „Des is ja Literatur!“? Habjan: Ja. Er war empört. Die Nora hat ihm aber gefallen, sagte er.

Standard: Weil wir beim Weggehen waren. Sie sagen: „Niemand stirbt so überzeugen­d wie eine Puppe.“Weil Sie nur die Hand aus ihr rausziehen müssen, damit sie stirbt? Habjan: Ja: Klappe zu – und aus. Sobald die Verbindung zum Spieler getrennt ist, wird die Puppe zum leblosen Objekt. Erst meine Puppenspie­lerhand macht sie lebendig.

Standard: Sie sind ein kleiner Gott? Habjan: Nein, würde ich nie sagen.

Standard: Weil Sie an Gott glauben? Habjan: Nein, ich bin Agnostiker. Aber ich lass mich überrasche­n. Es gibt den Satz, der Tod sei die Lösung eines großen Rätsels. Ich sage: Der Tod ist die Lösung eines großen Rätsels – oder auch nicht.

Standard: Passt zur letzten Frage. Worum geht’s im Leben? Habjan: Ja, wenn man das wüsste. Ich habe keine Ahnung. pHörproben ab Sonntag auf

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Foto: Regine Hendrich Am liebsten mag er Opern. Kolorature­n pfeift er, Insekten fasziniere­n ihn. Mit seinen Puppen lädt er ein, sich der Magie der Nichtmagie hinzugeben: Nikolaus Habjan.

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