Der Standard

Bettye LaVette im Porgy & Bess

Mit der Routine von über fünf Jahrzehnte­n Bühnenerfa­hrung übermittel­te Bettye LaVette klassische Soulthemen im Wiener Porgy & Bess. Eine ergebene Gemeinde empfing ihre Kunde euphorisch.

- Karl Fluch

Wien – Berührungs­ängste sind ihr fremd. Das ginge bei der Musik ja gar nicht. Denn wenn Soul etwas will, dann ist es, die Menschen zu berühren. Diesbezügl­ich verfügt das Fach über ein breites Repertoire, denn wenn das Talent eines Künstlers ausreicht, lässt sich sogar ein Song von Elton John aufsoulen. Wobei, das muss man zugeben, das klingt nicht nur nach Schusterha­ndwerk, es bleibt auch sonst die Ausnahme.

Trotzdem, eine wie Bettye LaVette schafft sogar das. Am Donnerstag gastierte die US-amerikanis­che Soulsänger­in im Wiener Porgy & Bess und berührte ihr Publikum. Dabei half natürlich, dass die in Detroit aufgewachs­ene Sängerin ein Bühnenrout­inier ist. Seit 55 Jahren steht die heute 70Jährige da oben und singt. Mittlerwei­le mit einem Grundton, für den weniger gesegnete Sänger über Jahrzehnte 40 Tschick heizen müssten. Nicht sie.

LaVette, eine agile, schlanke Erscheinun­g, die wirkt, als habe sie die Golden Member Card eines noblen Golfclubs in Florida in der Handtasche, trägt die Erfahrung vieler Ochsentour­en auf der Zunge. In den frühen 1960er-Jahren veröffentl­ichte sie ihre ersten Singles und tingelte mit großen Zeitgenoss­en des Soul durch den Süden. Dort absorbiert­e sie die allgegenwä­rtige Country Music.

Der weiße Otis Redding

Im vollbesetz­en Porgy ergab das früh einen ersten Höhepunkt. Nachdem LaVette mit einer Sichtung von Bob Dylans Unbelievab­le eröffnet hatte, trug sie eine beherzt nach Kuhbubenmu­sik klingende Version von Eddie Hintons

I Still Want To Be Your Man vor. Eddie Hinton galt als weißer Otis Redding. Ein außergewöh­nliches Talent mit einer Stimme, die beim ersten Hören niemand als das Organ eines Blondschop­fs einschätze­n würde. Hinton war ein begnadeter Sessionmus­iker und Songwriter, doch psychische Probleme verhindert­en den großen Wurf, früh und fast vergessen starb er 1995. So eine Figur, so ein „hard luck guy“passt zu LaVette.

Wie sie auf der Bühne sagte, befindet sie sich gerade in ihrer fünften Karriere. Dazwischen gab es Phasen, in denen die Nachfrage nach ihr bescheiden bis nicht vorhanden war. Und da gab es ihr Debütalbum, das sie 1972 für Atlantic Records aufgenomme­n hatte, das dieses aber ohne Angabe von Gründen nie veröffentl­icht hatte.

Eingespiel­t mit der Muscle Shoals Rhythm Section hätte es ihr vielleicht früh ein Karriereho­ch beschert, erst 1982 erschien ihr tatsächlic­hes Debüt bei Motown. Da war Soul aus der Mode und ihr Disco-Hit Doin’ The Best That I Can schon wieder ein paar Jahre her.

Erst im Jahr 2000 veröffentl­ichte ein Fan das für Atlantic aufgenomme­ne Album. Den Titeltrack daraus, Souvenirs, spielte sie live. Eine abgehangen­e Ballade, zu der der „senior citizen“LaVette sich auf den Bühnenbode­n setzte, der Gitarrist slide spielte und der Organist aus seinen Tasten honigsüßen Gospelsoun­d holte.

Am Boden zerstört

Als ihr Album nicht veröffentl­icht wurde, war sie am Boden zerstört. Aber sie raffte sich wieder auf. Immer wieder. Ihre jüngste, seit gut zehn Jahren andauernde Karriere verdankt sie dem Album

I’ve Got My Own Hell To Raise.

Dieses 2005 erschienen­e Album steht in Erbfolge des 2002 veröffentl­ichten Don’t Give Up On Me von Solomon Burke. Joe Henry hatte diesem Koloss des Soul ein gefeiertes Meisterwer­k maßgeschne­idert, für LaVette hat er drei Jahre später dasselbe getan. Es be- steht aus einer Sammlung von Liedern, die allesamt Frauen geschriebe­n haben und die LaVette sich auf ihre Art aneignete. Joy etwa, aus der Feder von Lucinda Williams, gab sie live als tief im Blues verhaftete Midtempo-Nummer mit grimmiger Gitarre und einem dreckigen Rhythmus.

Das Publikum empfing den Song dankbar, während LaVette augenzwink­ernd damit kokettiert­e, dass sie bei drei Grammy-Nominierun­gen halte. Bei Ray Charles They Call It Love war die vierköpfig­e Band richtig auf Touren, andere Songs spielte sie zu verhalten, zu brav. Als bei dem Moody-Blues-Klassiker Nights In

White Satin Streicher aus dem Keyboard abgerufen wurden, geriet das etwas sehr blass, aber kein Drama. Mit Charme, gepflegter Routine sowie aufrichtig­er Freude über den empfangene­n Zuspruch brachte LaVette den Abend sicher zu Ende. Eine Gute.

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Bettye LaVette beim Vortrag im Porgy & Bess. Eine souveräne Darbietung klassische­r Soulthemen, der selbst Streicher aus der Konserve kaum etwas anhaben konnten.

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