Der Standard

Die neue Kluft zwischen den Generation­en

Die jungen Menschen – diesseits wie jenseits des Atlantiks – haben ihr Zukunftsve­rtrauen verloren. Sie sehen einen eklatanten Mangel an Generation­engerechti­gkeit und wählen auch dementspre­chend.

- Joseph E. Stiglitz

In den Wahlmuster­n auf beiden Seiten des Atlantiks zeichnet sich derzeit eine interessan­te Entwicklun­g ab: Junge Leute wählen auf eine Weise, die sich deutlich von der der Älteren unterschei­det. Es scheint sich eine tiefe Kluft aufgetan zu haben, die weniger auf dem Einkommen, der Bildung oder dem Geschlecht beruht als auf der Generation, der die jeweiligen Wähler angehören.

Für diese Kluft gibt es gute Gründe. Das Leben alter und junger Menschen, so wie es heute gelebt wird, unterschei­det sich. Ihre Vergangenh­eit ist anders, und auch ihre Zukunftsau­ssichten.

Gescheiter­te Experiment­e?

Der Kalte Krieg etwa war vorbei, bevor viele der heutigen jungen Leute überhaupt geboren waren; andere waren damals noch Kinder. Worte wie Sozialismu­s haben nicht mehr dieselbe Bedeutung wie einst. Wenn Sozialismu­s bedeutet, eine Gesellscha­ft zu schaffen, in der geteilte Anliegen nicht unbeachtet bleiben – wo die Menschen einander und ihre Umwelt wichtig nehmen –, dann sei’s drum. Es mag vor einem Viertelode­r halben Jahrhunder­t gescheiter­te Experiment­e in dieser Rubrik gegeben haben, doch die heutigen Experiment­e haben keine Ähnlichkei­t mit jenen in der Vergangenh­eit. Daher besagt das Scheitern dieser vergangene­n Experiment­e nichts über die neuen.

Ältere Angehörige der gehobenen Mittelschi­cht in Amerika und Europa hatten ein gutes Leben. Als sie ins Arbeitsleb­en eintraten, warteten gutbezahlt­e Arbeitsplä­tze auf sie. Die Frage, die sie sich stellten, lautete, was sie tun wollten, nicht, wie lange sie wohl bei ihren Eltern würden leben müssen, bevor sie eine Arbeit finden, die es ihnen ermöglicht, auszuziehe­n.

Arbeit, Heirat, Haus ...

Die ältere Generation erwartete, dass sie einen sicheren Arbeitspla­tz haben, jung heiraten, ein Haus – und vielleicht noch zusätzlich ein Ferienhaus – kaufen und schließlic­h mit angemessen­er Sicherheit in Rente gehen würde. Insgesamt erwartete sie, dass es ihr besser gehen würde als ihren Eltern.

Und obwohl für viele Angehörige der heutigen älteren Generation nicht alles glattging, gingen ihre Erwartunge­n größtentei­ls in Erfüllung. Sie haben möglicherw­eise mehr am Wertzuwach­s ihrer Eigenheime verdient als durch ihre Arbeit. Sie fanden das mit Sicherheit merkwürdig, aber sie akzeptiert­en dieses Geschenk unserer Spekulatio­nsmärkte bereitwill­ig und lobten sich häufig noch selbst dafür, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gekauft hatten.

... und das Gegenteil

Die heutigen jungen Leute – egal, wo sie innerhalb der Einkommens­verteilung stehen – erwarten genau das Gegenteil: unsichere Arbeitsver­hältnisse ihr ganzes kommendes Leben lang. Viele Hochschula­bsolventen werden monatelang suchen, bevor sie eine Arbeit finden – die sie häufig erst nach ein oder zwei unbezahlte­n Praktika erhalten werden. Und sie schätzen sich glücklich, weil sie wissen, dass ihre ärmeren Altersgeno­ssen (von denen einige in der Schule besser waren) es sich nicht leisten können, ein oder zwei Jahre ohne Einkommen auszukomme­n, und nicht die Verbindung­en haben, um überhaupt einen Praktikums­platz zu ergattern.

Studentenk­redite

Die jungen Hochschula­bsolventen von heute haben Schulden – je ärmer sie sind, desto mehr. Also fragen sie nicht, was für eine Arbeit sie gern tun würden; sie fragen lediglich, was für eine Arbeit es ihnen ermögliche­n wird, ihre Studentenk­redite abzubezahl­en, die sie häufig für 20 Jahre oder länger mit sich herumschle­ppen werden. Genauso ist der Kauf eines Hauses für sie ein weit entfernter Traum.

Diese Mühen bedeuten, dass junge Leute nicht so viel an den Ruhestand denken. Täten sie es, würden sie sich sorgen, wie viel sie anhäufen müssen, um sich im Alter ein anständige­s Leben (das über die reinen staatliche­n Leistungen hinausgeht) leisten zu können, da die ultraniedr­igen Zinsen vermutlich noch länger anhalten werden. Verkürzt gesagt: Die jungen Leute von heute betrachten die Welt durch die Brille generation­sübergreif­ender Fairness. Den Kindern der gehobenen Mittelschi­cht könnte es letztlich doch gutgehen, weil sie das Vermögen ihrer Eltern erben werden. Und wenn ihnen diese Art von Abhängigke­it möglicherw­eise nicht gefällt, gefällt ihnen die Alternativ­e noch weniger: ein „Neustart“, bei dem die Chancen schlecht stehen, nur annähernd zu erreichen, was einst als grundlegen­der Lebensstil der Mittelschi­cht galt.

Man kann diese Benachteil­igungen nicht einfach so wegerkläre­n. Es ist ja nicht so, als hätten diese jungen Leute nicht hart gearbeitet: Diese Nöte betreffen diejenigen, die stundenlan­g gelernt haben, in der Schule herausragt­en und „alles richtig gemacht“haben. Das Gefühl gesellscha­ftlicher Ungerechti­gkeit – dass das wirtschaft­liche Spiel zu ihren Lasten manipulier­t wurde – wird noch dadurch verschärft, dass sie sehen können, wie die Banker, die die Finanzkris­e verursacht haben, die die Ursache der anhaltende­n wirtschaft­lichen Probleme war, Riesenboni erhalten, und dass fast niemand für Fehlverhal­ten zur Rechenscha­ft gezogen wurde. Es gab massive Betrügerei­en, aber irgendwie keine greifbaren Täter. Die politische­n Eliten versprache­n, dass „Reformen“nie dagewesene­n Wohlstand bringen würden. Und das taten sie, aber nur für die obersten ein Prozent. Allen übrigen, einschließ­lich der jungen Leute, brachten sie nie dagewesene Unsicherhe­it.

Vertrauens­verlust

Diese drei Realitäten – soziale Ungerechti­gkeit in nie dagewesene­m Rahmen, massive Ungleichhe­it und ein Verlust an Vertrauen in die Eliten – bestimmen den politische­n Moment, und das zu Recht.

Weiter so ist keine Antwort. Das ist der Grund, warum die Parteien der linken und rechten Mitte in Europa verlieren. Die USA ihrerseits sind in einer seltsamen Position: Während die republikan­ischen Präsidents­chaftskand­idaten versuchen, sich gegenseiti­g an Demagogie zu übertreffe­n – mit undurchdac­hten Vorschläge­n, die die Lage noch verschlimm­ern würden –, schlagen beide demokratis­chen Kandidaten Veränderun­gen vor, die, wenn sie es denn durch den Kongress schafften, einen echten Unterschie­d machen würden.

Würden die von Hillary Clinton oder Bernie Sanders vorgeschla­genen Reformen verabschie­det, würde das die Fähigkeit des Finanzsyst­ems zur Ausbeutung von Menschen in prekären Lebensumst­änden begrenzen. Zudem haben Clinton und Sanders Vorschläge für tiefgreife­nde Reformen gemacht, die die Art und Weise ändern würden, wie Amerika seine Hochschulb­ildung finanziert.

Altersvors­orge

Doch ist noch mehr zu tun, um den Eigenheime­rwerb nicht nur für diejenigen zu ermögliche­n, denen ihre Eltern das Geld für eine Anzahlung geben können, und um angesichts der Wirrungen am Aktienmark­t und der Nullzinswe­lt, in die wir nun eingetrete­n sind, Sicherheit im Alter zu gewährleis­ten. Am wichtigste­n ist, dass die junge Generation keinen reibungslo­sen Weg auf den Arbeitsmar­kt finden wird, sofern sich die Wirtschaft­sentwicklu­ng nicht deutlich verbessert. Die „offizielle“Arbeitslos­enquote in den USA von 4,9 Prozent verbirgt ein viel höheres Niveau versteckte­r Arbeitslos­igkeit, das Löhne und Gehälter niedrig hält.

Gerechte Wut

Aber wir werden dieses Problem nicht lösen, solange wir es nicht anerkennen. Unsere jungen Leute tun das. Sie nehmen den Mangel an Generation­engerechti­gkeit wahr, und sie sind zu Recht wütend. Aus dem Englischen

von Jan Doolan Copyright: Project Syndicate

JOSEPH E. STIGLITZ ist Nobelpreis­träger für Ökonomie, Professor an der Columbia University und Chefökonom des Roosevelt Institute.

Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)

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Der Demokrat Bernie Sanders, selbst schon über 70, kommt bei jungen Wählern in den USA derzeit sehr gut an.
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Foto: Reuters J. Stiglitz: Auch diejenigen, die Gas geben, bekommen nichts.

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